Naturgeist

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Weder noch

Die Welt verändert sich. In einem rasenden Tempo folgen Ereignisse aufeinander, dass einem schwindelig wird dabei. Was gestern noch galt ist heute schon vergessen. Nichts bleibt sicher, keine Meinung, keine Gesinnung, keine Welt.

Ich bin Kessio Wehawin, Silberelf und Schüler in der Bibliothek von Titania. Ich habe schon viel gelesen und gelernt, über die Völker Magiras, ihre Lebensweisen und Eigenarten, ihre Sprachen und Künste, ihre Länder und Götter. Und in den letzten Monaten scheint all dieses Wissen nutzlos zu sein. Nichts ist mehr an seinem Platz, täglich kommen neue Nachrichten aus aller Welt und lassen all dieses Wissen wertlos erscheinen. Ich lese nicht mehr, ich höre nur noch zu. Ich streife über den Marktplatz von Titania und am Hafen entlang, frage die Händler und Seeleute aus vielen Ländern und versuche mir selbst ein Bild zu machen von dem was in der Welt vor sich geht.

Meistens erzählen sie von Götern, die licht oder finster sind. Diese haben große Flotten auf alle Welten geschickt, die von den Völkern eine Entscheidung für eine der beiden Seiten wollen. Viele der Völker haben daraufhin Flagge gezeigt für Licht oder Finsternis, manche auch nicht und diese Entscheidungen haben mich erneut in Verwirrung gestürzt, denn einige stehen in krassem Gegensatz zu den Dingen, die ich über diese Völker gelesen habe.

Ich habe viele Fragen an die Händler und Seefahrer. Aber diese haben auch viele Fragen an mich. Den auch unsere eigene Flagge sorgt für Unsicherheit. Natürlich haben wir Naturgeister eine weiße Flagge gehisst. Meist müssen wir unsere Gesinnung als Lichtvolk in endlosen Gesprächen erläutern und es ist immer sehr schwer gewesen, eine eindeutige Gesinnung zu haben. Manchmal habe ich die Völker, die sich selbst als Grau definieren beneidet um die Freiheit ihres Handelns und darum, nicht jede ihrer Taten abwägen und erklären zu müssen. Ich glaubte, endlich eine Entscheidung leichten Herzens treffen zu können, ohne viel darüber nachdenken zu müssen. Natürlich sind wir Naturgeister Licht, so dachte ich.

Mittlerweile regt sich ein vages Misstrauen ob dieser Entscheidung. Bei näherer Betrachtung der hellen und dunklen Flotten erscheinen mir die schwarzen Schiffe zwar immer noch finster, die weißen aber nicht mehr licht. Auf den Lichtschiffen dienen belebte Tonfiguren, in die niedere Dämonen gefahren sind oder belebte Automaten ohne eigenes Interesse an Licht und Finsternis. Sie sind nurmehr Diener von Wesenheiten, die von vielen Magiranern Götter genannt werden. Ich selbst kenne keine Götter und ihr Verständnis von dem was Licht sein soll ist nicht dasselbe, das ich meine, wenn ich von uns Naturgeistern spreche.

In dieser Verwirrung gefangen sprach ich mit meinem Lehrer, dem Bibliothekar von Titania. Er war, wie immer, sehr beschäftigt und ich fasste mich kurz, ihm mein Problem zu schildern. Ich fragte ihn, wo ich mehr Aufschlussreiches lesen könne um meine Fragen und die der anderen Magiraner in Titania beantworten zu können. Mein Lehrer schüttelte jedoch den Kopf und sagte, über diese Fragen sei noch nichts geschrieben worden. Wenn ich aber Antworten wolle, müsse ich mich an jemanden wenden, der die Welt aus einem anderen Blickwinkel sehe als ich es täte. Ich solle einen Kobold aufsuchen und mit ihm darüber sprechen. Wenn ich zu einer Erkenntnis gekommen sei, so solle ich ein Buch darüber schreiben, um späteren Fragenden eine Hilfe zu geben.

Man widerspricht meinem Lehrer nicht. Er ist eine Autorität in allen wissenschaftlichen Fragen, aber noch nie habe ich erlebt, dass er einem Schüler kein Buch empfahl, um eine Frage zu beantworten, sondern ein Gespräch mit einem Kobold. Ich habe über Kobolde gelesen und kenne auch ein paar, die hier in der Bibliothek in Büchern leben. Aber sie in philosophischen Dingen zu befragen, auf diesen Gedanken war ich noch nicht gekommen.

Schließlich wanderte ich durch die endlosen Regale von Büchern, um einen Kobold zu suchen. Aber wie immer, wenn man sucht, hat man meistens kein Glück. Zwar raschelte es hier und dort zwischen den Seiten, aber einen Bibliothekskobold bekam ich nicht zu Gesicht. Letztendlich ging ich nach draußen auf die Wiesen, setzte mich unter einen Baum und grübelte weiter nach.

Ich schreckte hoch, als eine Nuss meinen Kopf traf. Gleich darauf hörte ich leises Klingeln von Glöckchen. Ein Kobold also, und der Nuss nach zu urteilen ein Waldkobold. Auch über die hatte ich schon gelesen. Erstaunlicherweise auch, dass viele unter ihnen Philosophen seien. Ein merkwürdiger Gedanke, wenn man ihre Glöckchen und ihr Lachen hört. Aber da ich seine, oder ihre Glöckchen hörte, wollte er wohl von mir entdeckt werden. Gerade als ich nach oben schaute spürte ich, wie etwas, oder besser jemand, zu meinen Füßen landete.

Der Waldkobold lachte und sah mich dann erwartungsvoll an. Als ich nicht sofort sprach sagte er, er habe mich grübeln sehen und ich solle nicht grübeln an einem so schönen Tag. Daraufhin erklärte ich ihm mein Problem, welches mich überhaupt zum Grübeln brachte. Der Kobold hörte aufmerksam zu und zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

Als ich geendet hatte lächelte er schelmisch und fragte mich, was ich denn unter Licht verstünde. Licht, so antwortete ich, würde die Dunkelheit erhellen, es wäre warm udn schüfe Leben. Und er fragte, ob es Leben nur unter der Sonne gäbe und ich dachte an Nachtfalter, Mondkobolde, Eulen und alles Getier, das in der Dunkelheit jagt und ich schwieg.

Dann fragte er, wie ich Weiß beurteile und ich antwortete, dass es hell und rein sei. Wieder fragte er, welche Farbe die Gebeine der Skelettkrieger der Horde hätten und welche Farbe die furchtbaren Fänge ihrer Wölfe und anderen Kreaturen und ich schwieg erneut.

Schließlich fragte er ob das Leben licht und der Tod finster sei und ich dachte an das silberne Seelenmeer, Lhur del Elomain, und dass der Tod zum Leben gehört und auch durch ihn neues entsteht. Ich war verwirrter als zuvor. Ich rief aus, dass es keine Entscheidung zwischen Licht und Dunkel geben könne, wo doch beide sowohl gut als auch schlecht sein könnten.

Der Waldkobold lachte und klingelte mit seinen Schellen. Wofür ich mich denn entscheiden würde, wenn ich wählen könnte was ich wollte. Darauf konnte ich sofort antworten. Für die Welt, dafür sie zu schützen, dafür allen Wesen mit Freundlichkeit und Hilfe zu begegnen und für die Hoffnung, dass viele sich dem anschließen.
"Und ist das licht oder dunkel, ist das schwarz oder weiß?" fragte der Waldkobold.
"Weder noch", antwortete ich, "All das sind nur Dinge, die wir mit unseren Augen sehen. Mit unseren Herzen aber sehen wir anders, mit unseren Herzen sehen wir das Gute und das Böse. Zwischen diesen beiden muss die Grenze gezogen werden udn dies ist ungleich schwerer als zwischen Dingen, die eindeutig zu erkennen sind."

Der Kobold lachte wieder und ich, fast außer Atem ob der eben gewonnen Erkenntnis starrte ihn an. Aus seiner Tasche zog er blitzschnell eine weitere Nuss und warf sie nach oben. Ich folgte ihr mit meinem Blick und als sie heruntergesaust kam und wieder auf meinem Kopf landete, war der Kobold weg. Nur ein leises Glöckchenklingeln hing in der Luft.

Scheib es auf, hatte mein Lehrer gesagt, und das tue ich jetzt. Man muss nicht wählen was einem angeboten wird, man kann auch gar nicht wählen. Und keine zwei die nicht gewählt haben sind sich gleich.


Gnisseldrix
2003