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Der Fluß der Seelen

Ich lebte jetzt schon eine lange Zeit in dieser Welt. Als ich der Welt gegeben wurde, waren selbst die ältesten Bäume in der Natur noch jung gewesen. Und wie sie hatte auch ich Leben geschenkt. Während der Finsternis war meine Tochter gegangen. Auch meine erste Gefährtin kehrte in den Fluß der Seelen heim. Sie war wie eine Blume in der Finsternis zugrunde gegangen. Es war in dieser Zeit gewesen, in der ich die Musik als Ausdruck meines Leidens fand. Sie half mir auch an dem Verlust nicht zu zerbrechen. Kurz vor Ende der Finsternis fanden die kleinen Freunde, wie wir die Atomis nannten den Weg in unsere Zelte. Genauso wie wir litten sie unter dem fehlenden Licht und wir gaben ihrem Leben Hoffnung wie sie dem unserem neues Leben.

Als das Licht zurückkehrte kam auch das Leben wieder. Die Steppe erbebte geradezu unter dem Ansturm neuen Seins. Auch ich fand das Leben neu. Saina trat in mein Leben wie das Licht des neuen Tages und wie der erste Regen des Tages die Blumen zum blühen bringt brachte sie meine Seele zum jauchzen. Wir waren nur wenige Sommer zusammen, aber sie gehörten zu den glücklichsten meines langen Leben. Aber sie war eine Sandläuferin, und als unsere Tochter alt genug war ohne Mutter auszukommen ging sie wieder zurück in die Steppe. Ich wußte, sie wäre im Dorf geblieben, hätte ich sie gebeten, aber sie wäre nicht glücklich gewesen. Wie ein junges Fohlen wollte sie Laufen, wissen was hinter dem nächsten Hügel, dem Baum in der Ferne war.

Eine Zeitlang hatte das Lehren der jungen Steppenelfen und meine Musik mir Freude gemacht, aber nun war ich müde. Der Sonnenaufgang hatte sein Licht für mich verloren, das Lachen der Kinder brachte mein Herz nicht mehr zum klingen. Ich wollte Heim, meine erste Gefährtin und meine zurückgegangene Tochter treffen. Meine Freunde, und das war das ganze Dorf, wußten Bescheid. Wenn sie es nicht selbst gespürt hätten wäre ihnen von meinem kleinen Freund alles gesagt worden. Auch er spürte es und er hatte Verständnis wie er es immer hatte. Wir kannten uns schon seit der Finsternis. Ich nannte ihn immer nur mein Freund. Er hatte mir mal seinen Namen genannt, aber man mußte wohl ein Atomi sein um ihn auszusprechen.

Alle im Dorf hatten Abschied genommen. Jeder auf seine Art. Mein letzter Schüler, der wie ich die Musik liebte, hatte mir eine einfache Flöte geschnitzt. An ihrem Griffstück hing in Knotenschrift schlicht Freund. Ich hatte die Tränen nicht zurückhalten können und wollte es auch gar nicht.

An diesem Morgen stand ich vor den anderen auf. Ich ließ die Verschlußdecke meines Zeltes offen. Die anderen würden wissen was ich damit sagen will. Still um niemanden zu wecken ging ich von Zelt zu Zelt und verabschiedete mich still von meiner Familie. Bei einem Zelt spürte ich die sanften Gedanken meines Freundes wie ein Streicheln des Herzens. Ich war fast aus dem Dorf, als ich auf einen kleinen Jungen traf. Warum er auf war weiß ich nicht. Still ging er zu mir hin und reichte mir seine Hand. Dann drehte er sich wortlos um und ging in ein Zelt. Eine Weile sah ich ihm hinterher. Ehe ich recht wußte warum rannen ein paar Tränen die Wangen herab. Wenn es noch solche Kinder unter uns gab konnte ich ruhig gehen.

Ich lief nicht sehr weit in die Steppe hinein. Auf der Sonnen zugewandten Seite eines Hügels setzte ich mich hin. Ich hatte mir wunderschöne Lieder ausgedacht um die Windkobolde zu rufen, aber nun schien mir keines davon angemessen. Ohne darüber nachzudenken nahm ich die einfache Flöte, mit den Bändern in denen Freund stand, und fing zu spielen an. Ich spielte vom wiegen der Blätter im Wind, dem zwitschern der Vögel und dem übermütigen Toben der Kinder im Sommer. Ich spielte von meinem Leben. Als die Flöte von Saina sprach hörte ich wie der Wind mitsang. Die Luft schien mich zu streicheln, als ich von dem Schmerz der Trennung erzählte. Als ich von meinem Abschied vom Dorf spielte schien es so als wären sie alle um mich. Ich konnte die Hand des kleinen Jungen wieder spüren. Erst hielt sie mich fest, doch dann ließ sie mich los. Genauso wie sich seine Hand löste, ließ auch ich los. Die Melodie meines Liedes hatte sich geändert. Nicht ich spielte sondern die Steppe. Ich hörte ihr Lied so klar und rein wie noch nie in meinem Leben und sie spielte meine Melodie. Der Wind trug mich fort, heim zu meinen Freunden, die vor mir gegangen waren. Heim zum Fluß der Seelen. Eine letzte Träne fiel herab bevor ich mit ihm verschmolz. Sie fiel hinab auf die Erde und erweckte einen Samen zum Leben. Aus ihm wuchs eine Blume, die es nirgendwo sonst gab oder geben wird. Doch genauso wie jede Seele, die im Fluß der Seelen ist Teil jeder neuen ist, ist jeder Teil dieser Blume Teil der Steppe, die sie hervorgebracht hat.

Lainam da Sai
2000