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Urlaub ist Bahunikram

Was für eine Stadt! Das kleine Kerlchen staunte mit offenem Mund während er eine gewundene und mit bunten Steinen belegte Strasse nach Titania hinein ging. Er war bekleidet mit einem Gewand aus braunen und grünen Blättern, das hier und da schon ein wenig auseinander fiel. Seine Haut war braun und wirkte wie Rinde. Dunkle Augen lugten aus seinem Gesicht wie Tollkirschen. Um ihn herum erstreckten sich Wiesen und Haine, wo allerlei Getier graste oder ruhte. Feen flogen an ihm vorbei und ein Karren, der von einem merkwürdigen Wesen gezogen wurde rumpelte über den Weg. Vor ihm in einiger Entfernung lag die Zitadelle von Titania, ganz in weiß mit ihren filigranen Zinnen und Türmen. Und in ihrer Mitte ragte die Feuerzinne auf, deren Anblick er sich "ganz doll" merken sollte um seinem Freund Rotglüh, dem Feuerkobold, davon zu erzählen.

Eine Gruppe Silberelfen begegnete ihm, die sich angeregt unterhielten. Doppelt so groß wie er waren sie, mit silbernem Haar und gekleidet in feine Gewänder in weiß oder blau. Worüber sie sprachen verstand er nicht, aber es hörte sich ungemein wichtig an.

Je näher er dem Zentrum der Stadt kam desto mehr Behausungen standen zu Seiten des Weges. Einige davon waren Häuser aus Stein und Holz, wie er sie nur ab und zu im Tieflandstreifen gesehen hatte. Einige waren aber auch in Bäume gebaut, in Erdhügel oder auch in Teiche. Die weißen Mauern aus Marmor, die er auch schon rund um die Stadt bewundert hatte, ragten immer höher vor ihm auf und er fühlte sich ganz klein bei ihrem Anblick.

Andere Naturgeister bevölkerten mehr und mehr die Straßen. Die meisten davon waren Silberelfen, Hauskobolde, Zwerge und große Feen. Sie gingen an ihm vorbei ohne ihn zu beachten, alle scheinbar sehr beschäftigt mit wichtigen Dingen. Der kleine Waldkobold, denn ein solcher ist es, den wir hier begleiten, kam sich zunehmend schäbig und unscheinbar vor neben all diesen schönen, glänzenden Gestalten. Die meisten von ihnen waren in feine Stoffe gekleidet und trugen Schmuck und Schuhe. Sie wirkten, als gehörten sie allesamt zu Oberons Hofstaat. Und so stolz und fröhlich waren sie! Was musste es für ein Geschenk sein, in einer solch edlen Stadt zu wohnen, mit Wänden aus Marmor, Hainen und Wiesen vor der Haustür und der Gesellschaft von so vielen verschiedenen Naturgeistern.

"Oh, wäre ich doch bloß nicht hergekommen.", dachte der kleine Waldkobold und machte sich unwillkürlich noch ein Stückchen kleiner. "Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, dass jemand diesen wunderbaren Ort verlassen will?" Er sah zweifelnd auf die kleine Haselnuss in seiner Hand, die er schon während seiner ganzen Reise mit sich trug: "Wie konnte ich nur glauben, dass du vor diesem ganzen Glanz bestehen kannst." Die Nuss blieb eine Antwort schuldig, nur ein wenig nach Wald roch sie. Das ermutigte den Kobold ein bisschen und er ging weiter die schöne Straße entlang. Schließlich wurde sie zu einer Gasse, die zwischen Warenhäusern und Herbergen hindurch führte. Manche Häuser öffneten Fenster zur Straße und auf breiten Tischen davor lagen jede Menge verschiedene Sachen. Dinge aus Leder gab es da, Schmuck aus Silber, Gold und funkelnden Steinen, Rollen aus Papier, Blumen und Kräuter. Viele Naturgeister drängten sich in der Straße und auch einige von denen, die Bahuni genannt werden. Von diesen hielt sich der kleine Waldkobold fern, denn man erzählte sich, dass sie die Naturgeister nicht verstehen und Angst vor ihnen haben.

Ein großer Bahuni kam aus der Menge scheinbar direkt auf ihn zugesteuert und der Kobold drehte sich erschrocken um, um zwischen zwei anderen Naturgeistern zu verschwinden. Doch da war plötzlich keine Lücke mehr und er stieß heftig gegen einen jungen Elfen, der seinen Weg kreuzte.

"He, wer bist denn du?", rief dieser und trat einen Schritt zurück, um zu sehen, wer ihn da angerempelt hatte. "Ich ... oh ... ich ... äh, hab ich dir weh getan?", stammelte der kleine Waldkobold. "Nö,", sagte der junge Elf, "ist nichts passiert. Suchst du wen?", fragte er dann.

Der kleine Kobold versuchte zu lächeln: "Äh, ja.", gab er zurück und betrachtete sein Gegenüber neugierig. Seiner Kleidung nach zu urteilen war es ein Waldelf, ein Waldelfenjunge, um genau zu sein. Er hatte dunkelblondes Haar und trug grüne und braune Kleidung. Aus seinen dunklen Augen sah er den kleinen Kobold genauso neugierig an, wie dieser ihn. Der Junge schien ungeduldig zu werden. "Wen suchst du denn?", fragte er.

"Oh, ich suche meinen Freund Gnisseldrix, einen Waldkobold, wie ich. Ach, und ich bin Moosfax, ich komme von der Geisterinsel."

"Ich bin Falk.", sagte der Junge. "Gnisseldrix kenn ich, der arbeitet in der Zitadelle. Komm mit, ich zeig's dir.", sprach's und lief durch die Menge davon.

Moosfax hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten. "Sag mal,", rief er ihm zu, "wohnst du hier in Titania?" "Nö,", antwortete Falk, "Ich besuche meinen Papa, der arbeitet auch in der Zitadelle, der ist der Handelsmeister."

Falk eilte schnell voran durch die Gassen der Stadt und der Waldkobold folgte ihm. Manchmal sah Moosfax zwischen den Giebeln die Zitadelle hervorblitzen, manchmal war nicht einmal der Himmel zu sehen. Er hatte gar keine Zeit, sich über alle Dinge und alle Wesen zu wundern, die ihm unterwegs begegneten. Er gab nur acht, Falk nicht in dem Gewirr der Straßen zu verlieren.

Schließlich öffnete sich die Straße auf einen weiten Platz. Moosfax blieb überwältigt stehen. Auf dem Platz liefen die farbigen, mit Mosaiken belegten Wege von allen Seiten zusammen und verschlangen sich in seiner Mitte zu einem wundersamen Muster. Dort stand eine Stele aus Holz, auf die Worte geschrieben standen. Wie verzaubert folgte er dem Muster seiner Strasse bis zum Zentrum des Musters. Hoch darüber ragten die weißen Mauern der Zitadelle auf. Moosfax wusste nicht genau, welche Worte auf der Stele geschrieben standen, aber er kannte ihre Bedeutung sofort, als er sie erblickte. Die Malataya selbst teilte sich hier allen, die lesen oder spüren konnten mit und bot ihre Freundschaft an. Auf einmal fühlte sich Moosfax sehr zu Hause.

"He, kommst du jetzt?", hörte er plötzlich eine Stimme hinter ihm. Es war Falk, der wartend auf dem Platz stand und ihn ansah.

"Oh, ja natürlich.", antwortete der Waldkobold und wandte sich ihm zu. "Sag mal", fragte er dann, "wofür ist diese Stele denn da?"

"Och," sagte Falk, "die erklärt den Bahuni, wie sie mit der Natur umgehen sollen. Wenn die sich daran halten, dann können sie hier bleiben und handeln. Wenn nicht, fliegen sie raus."

Moosfax staunte: "Und sie verstehen es ?"

Falk zuckte mit den Schultern: "Mein Papa erklärt es ihnen, wenn sie fragen."

Sie verließen den Marktplatz und gelangten kurz darauf zu einem Tor in der Umfassungsmauer der Zitadelle. Es stand weit offen und Naturgeister und auch Bahuni schritten in beide Richtungen hindurch.

Zwei Silberelfen standen rechts und links neben dem Eingang und Falk nickte ihnen zu. Moosfax tat es ihm nach und lächelte verlegen. Beide lächelten belustigt zurück und einer machte eine einladende Geste mit der Hand.




Die Zitadelle war noch prächtiger als die Stadt selbst. Jedes Dach, jede Wand, jedes Fenster und jeder Erker, und davon gab es viele, war mit Mosaiken, Ornamenten oder Malereien bedeckt. Manche Orte waren bunt wie Blumenwiesen und an manchen zog sich schlicht ein feines Geflecht silberner Einlegearbeiten über die Wände. Es war, als hätten alle Künstler der Welt hier alle Künste der Welt angewandt, um die Zitadelle zu schmücken.

Bahuni sah Moosfax, als sie weiter in die Zitadelle kamen, bald keine mehr. Nur einmal begegneten sie einem Menschenmann mit dunklem Bart und buntem Gürtel, der mit Falk einen kurzen Gruß austauschte. Der Junge führte ihn durch Höfe, Treppen hinauf und hinab, über kleine Brücken und schließlich durch einen wunderschönen, vom Gebäude umschlossenen Garten, in dem duftende Rosen in allen Farben blühten.

"Das ist der Feengarten." sagte Falk und strebte auf eine Tür am Ende des Parks zu. Und tatsächlich schwirrten überall zwischen den Rosenbüschen kleine Feen herum. Er sah Schmetterlings- und Libellenflügel, und manche hatten auch kleine Vogelflügel wie Kolibris.

"Wie auf den Sommerwiesen der Geisterinsel." dachte Moosfax und steckte seine Nase neugierig in eine große Rosenblüte. Sie duftete ganz zart nach Pfirsichen. Doch dann zog er sein Gesicht ruckartig zurück. "Au!" rief er empört und schüttelte heftig den Kopf, um das kleine Ding loszuwerden, das sich an seine Nase klammerte. "Das kommt davon," rief eine kleine Fee mit heller Stimme, "wenn man seine Nase in anderer Leute Wohnungen reinhält." Moosfax schielte auf seine Nasenspitze und grinste. Ein winzig kleiner Speer steckte dort im Holz und daran baumelte eine kleine Gestalt, die mit Libellenflügeln flatterte. Hinter ihm hielt sich Falk vor Lachen den Bauch und seine Stimme erfüllte den Feengarten. "Ha, ha, ha, das ist lustig!" prustete er während der Waldkobold vorsichtig den Feenspeer aus seiner Nase zog. Die Fee riss ihm diesen entschlossen aus den Fingern und flatterte erhobenen Hauptes zurück in ihre Blüte. Moosfax aber verbeugte sich vor der Rose und sagte: " Entschuldigt, Königin der Blumen, dass es mir nicht gelang, Euch von dem Euch befallenen Ungeziefer zu befreien." Und während Falk in erneutes Lachen ausbrach war er schon an ihm vorbeigeflitzt und eine Treppenflucht hinaufgerannt. Der junge Waldelf bemerkte schnell den Schwarm wütender Feen, der plötzlich den Blüten des Gartens entstieg und beeilte sich, dem Kobold zu folgen.

Dieser wartete oben am Ende einer lange Treppe auf ihn und fragte abenteuerlustig: "So, und wohin jetzt?" Moosfax fühlte sich wieder in seinem Element. Wenigstens die Feen ließen sich in Titania genauso ärgern wie auf der Geisterinsel. Insgeheim hoffte er allerdings, dass sie in ihrer Rache nicht raffinierter waren als die zu Hause.

"Da lang." sagte Falk und zeigte einen Gang hinunter. Er ging voraus und der Kobold folgte ihm. Sie gingen vorbei an vielen Türen, die aus verschiedenerlei Holz gearbeitet waren. Manche waren in dunklem Braun und sahen schwer und wichtig aus. Manche waren schmal und aus hellem, fast silbernen Holz mit zarten Ornamenten. Einmal sahen sie anstatt einer Tür sogar einen Vorhang aus Wasser, das stetig mit leisem Rauschen niederrieselte und in einer marmornen Rinne unter einer Wand verschwand. Mit jedem Schritt fühlte sich Moosfax wieder ein wenig eingeschüchterter und umklammerte fest die Nuss in seiner Hand.

"So," sagte Falk endlich, als sie fast am Ende des Ganges angelangt waren, "hier ist es. Das da ist das Zimmer von Gnisseldrix und gegenüber das von meinem Papa. Aber ich geh' jetzt nach Hause. Meine Mutter wartet und wir kriegen Besuch aus Neu Descaer. Wülüdühü." Der Waldelfenjunge winkte kurz und lief dann den Weg zurück, den sie gekommen waren.

Moosfax sah ihm eine Weile nach, bevor er sich wieder den Türen zuwandte. Welche war jetzt die von Gnisseldrix? Beide Türen waren aus braunem Holz und beinahe schmucklos. Nur ein silbernes rundes Schildchen trugen jede in der Mitte, weit über Moosfax Augenhöhe. Darauf stand etwas geschrieben, aber Moosfax konnte es nicht lesen. Doch halt, neben der einen Tür auf dem Boden lag etwas. Er ging näher und erkannte einen kleinen Kiefernzapfen auf dem geschrieben stand: "Veräppel mich!". Na, das war ganz bestimmt nicht Gnisseldrix Tür sondern die von Falks Vater, dem Handelsmeister. Moosfax kostete es große Überwindung, nicht durch die Tür zu schlüpfen und mit diesem Elfen ein bisschen Schabernack zu treiben. Er wurde beinahe magisch angezogen von dieser "Einladung". Aber rechtzeitig wurde ihm wieder bewusst, warum er hergekommen war und er wandte sich der Tür zu, hinter der er seinen Gefährten Gnisseldrix vermutete.

Vorsichtig streckte er eine Hand nach dem Türgriff aus, der für ihn natürlich weit oben lag, um dann beherzt zuzugreifen und die Tür aufzustoßen. Licht fiel durch große Bogenfenster in das Zimmer und von draußen wehte nachmittägliche Sommerluft herein. Was für ein riesiges Zimmer. Hier sollte sich ein kleiner Waldkobold wohlfühlen? Moosfax sah sich im Raum um und entdeckte mitten im Zimmer einen elfengroßen Schreibtisch. Darauf stapelten sich Stücke von Papier, zusammengebundene Rollen und einige Federn. Dazwischen aber hockte, ein Papier in der Hand, Gnisseldrix, sein Gefährte, und blickte ihn entgeistert an. Sein Mund stand offen aber kein Ton kam heraus. Moosfax grinste; so großartig hatte er sich seinen Auftritt nicht vorgestellt. "He, Holzkopf." sagte er, "mach' den Mund zu sonst fliegen die Feen rein."

Ganz langsam begann Gnisseldrix erstauntes Gesicht zu lächeln. Erst die Augen und dann der Mund verzogen sich zu einem Lachen. Schließlich warf er das Blatt in seinen Händen hinter sich und sprang vom Schreibtisch, wobei er die Stapel aus Papieren und Pergamentrollen umstieß und alles wie Herbstlaub zu Boden flatterte. "Moosfax!" stieß er atemlos hervor und stob auf seinen Freund zu. Dieser kämpfte hart mit sich selbst. Sollte er seinem Freund die Wiedersehensfreude gönnen und ihm in die Arme fallen, oder ... . Ach was, dachte er dann, schließlich sind wir Kobolde. Im letzten Moment trat er einen Schritt zur Seite und Gnisseldrix schoss an ihm vorbei durch die Tür auf den Flur. Kurz vor der gegenüberliegenden Wand konnte er anhalten und drehte sich verdutzt um. Moosfax stand in der Tür, schüttelte den Kopf und sagte, sich mühsam das Lachen verbeißend: "Bahuni." Einen Augenblick lang sah ihn sein Freund empört an und Moosfax dachte schon, er wolle sich verärgert auf ihn stürzen, dann aber grinste er, klopfte sich das Wams ab und kam zurück ins Zimmer, in das Moosfax inzwischen eingetreten war.

"Hier wohnst du?" fragte er ein bisschen ungläubig und ein bisschen vorwurfsvoll, "Da kann sich doch ein Waldkobold nicht wohlfühlen." Er schritt auf den Tisch zu und nahm eine geknüpfte Schnur herunter. "Nett," sagte er und schlang sie sich um die Hüfte, "wie steht mir das?" mit hochgereckter Nase stolzierte er herum. Gnisseldrix lachte: "Wenn du die Atomi-Handwerksordnung um den Bauch tragen willst ... gar nicht so übel." Dann hechtete er aus dem Stand auf Moosfax zu, umarmte ihn stürmisch und beide kugelten laut juchzend über den Boden.




Später zeigte Gnisseldrix seinem Freund sein Zuhause in Titania, einen großen Haselbusch in den Wiesen des nörlichen Blütenblattes. Hier war es ruhig und das Getümmel der Stadt war fern. Überwiegend Kobolde und Feen lebten hier. In einem nahen Bach wohnten Quellmännlein und Nymphen, es gab eine Wiese voller Kleinfeen und ein kleines Wäldchen wurde von Waldnaturgeistern aller Art bewohnt. An dessen Saum befand sich auch Gnisseldrix Haselbusch.

Moosfax war froh, der lauten Stadt entkommen zu sein, in der er sich ständig beengt fühlte und so viel harten Stein um sich spürte. Aber auch hier draußen war ihm bewusst, wie klein diese Zuflucht war, und dass in nicht allzu weiter Ferne mächtige Mauern seine Freiheit begrenzten. Auch der Zauber dieser Landschaft war ein anderer, als auf der Geisterinsel. Zwar lebten hier viele Naturgeister und der Boden und alles um ihn herum atmete die Malataya, aber dennoch hatte er das Gefühl, hier nicht ganz frei zu sein - wie ein Vogel der zu schwer ist, zu fliegen.

Sie aßen ein paar Beeren, tranken Quellwasser und Gnisseldrix überwand sich, um nach seiner Heimat, der Geisterinsel, zu fragen. Das war ihm nicht leicht gefallen. Eine unbestimmte Angst war ihn ihm aufgestiegen, als ob dies ein Schritt in eine große Veränderung sei.

"Och," sprach Moosfax, " zu Hause ist alles beim Alten. Kernknacks und Zwigs habe einen Schützling bekommen. Er ist in seinem zweiten Sommer und kann schon recht gut klettern. Ach ja, und in Ker odTalan haben sie bei der letzten Feenkirmes eine elfenhohe Oberonstatue aus Blumen gebaut und sie die ganze Nacht betanzt und besungen. Als dann die Sonne aufging trat Oberon aus der Menge hervor, wo er die ganze Zeit mitgefeiert hatte, nahm sich bei der Hand und sie gingen zusammen davon. Es wird erzählt, dass eine Menge kleiner Blumen jetzt in Oberons Palastgarten erblüht sind."

Gnisseldrix staunte. Er erinnerte sich daran, dass Reisende erzählt hatten, gelegentlich begegne man dem Elfenkönig auf der Geisterinsel; immer dann, wenn man es am wenigsten erwarte. Wie gern würde er Oberon noch einmal begegnen und von ihm einen Streich lernen. Er seufzte und schaute hinaus auf die Wiese.

Moosfax war den Tränen nahe. Er hatte von zu Hause erzählt und dabei gemerkt, wie sein Freund immer trauriger und nachdenklicher wurde, so als ginge ihn das kaum noch etwas an. Gnisseldrix erschien ihm grau, oder vielleicht eher durchsichtig. Kein Schalk leuchtete mehr aus seinen Augen und er war grässlich pflichtbewusst und genau geworden. Außerdem, das fiel Moosfax jetzt auf, waren seine Glöckchen kaum noch zu hören, sie waren stumpf und klangen wie altes Blech. Zorn stieg in ihm auf, Zorn auf diese Stadt, dieses Amt, diese Bahuni. Er wollte nicht zulassen, dass sein Freund vergaß, ein Kobold zu sein. Niemand könnte das wollen, auch die Lady Finyen nicht. Er hatte die knorrigen Finger zu Fäusten geballt und sprang so plötzlich auf, dass Gnisseldrix sich erschrocken umdrehte.

"Wa ... was ist los?" fragte er, und noch ehe er eine Antwort bekam packte ihn Moosfax bei der Kapuze und zerrte ihn aus dem Busch. "Du bist krank, du musst nach Hause. Los komm, wir gehen. Jetzt gleich!" Hoffentlich kann er überhaupt noch alleine wechseln, dachte Moosfax ein bisschen bange.

"Aber, Moment Mal!" rief Gnisseldrix, und versuchte sich loszureißen, "ich kann nicht einfach weggehen, ich bin stellvertretender Handelmeister und Lady Finyen zählt auf mich!" Sein Freund war verrückt geworden.

"Das ist mir egal!" gab dieser zurück, "sieh dich nur einmal an. Du bist ja gar kein richtiger Kobold mehr!" Das saß. Gnisseldrix starrte ihn entgeistert und verletzt an. Wie konnte er nur so etwas sagen dieser ... dieser ... "Provinzkobold!" rief er laut.

Moosfax schnappte nach Luft: "Grauelf!" zischte er zurück und seine Augen funkelten böse.

Gnisseldrix zerrte sich frei. "Baumkuschler!" brüllte er.

Die beiden Kobolde standen sich jetzt gegenüber auf der kleinen Wiese vor dem Wäldchen und funkelten sich aus dunklen Augen an. Das Rauschen der Blätter, das Plätschern des Baches und das Summen auf der Wiese war verstummt und immer mehr kleinere und größere Naturgeister scharten sich um die beiden Streiter.

"Schepperschelle!" blaffte Moosfax, und gleich hinterher: "Weichfee!"

Ein vielstimmiger Protest erhob sich aus den Reihen der Zuschauer. Besonders ein Schwarm Kleinfeen piepste empört und sie ließen ihre Flügel laut brummen. Eine elfengroße Person trat hervor und wuchs zu ihnen hinüber. Zwischen den beiden Kobolden kam sie zum Stehen und grub ihre Wurzeln in den Boden. Gnisseldrix erkannte sie sofort, es war Jiselle, eine Oreade und derzeit Repräsentantin des Rates von Titania.

Ihre Stimme schien aus dem Boden zu kommen als sie sagte: "Tragt eure Kobold-streitereien bitte andernorts aus und lasst die anderen Völker da raus." Gnisseldrix sah zerknirscht zu Boden, sodass Moosfax entnervt die Augen verdrehte. Was war nur aus dem kecken Waldkobold geworden, den er mal gekannt hatte: ein dienstfertiger Trauerkloss. Das musste wieder anders werden.

"Aaach, wachs doch nach unten, Komposttulpe!" rief er frech, sprang an der Oreade vorbei und packte Gnisseldrix am Kragen. Jiselle, fassungslos über diese Unverschämtheit, griff nach dem Waldkobold, verfehlte ihn jedoch. Moosfax indessen rannte und sprang, Gnisseldrix hinter sich her zerrend, in Richtung Zitadelle davon und sein Kichern scholl über die Wiese. Aber es war nicht nur eine Stimme, die man kichern hörte. Als Jiselle sich umsah drehten sich die umstehenden und -fliegenden Naturgeister schnell verlegen um und verschwanden zu ihren Wohnstätten. "Pfft, Kobolde," sagte Jiselle verärgert und wuchs ebenfalls nach Hause.

"Entschuldigung!" rief Gnisseldrix der Oreade hinterher, als er wieder Luft bekam und erhielt dafür von Moosfax sogleich einen Knuff auf den hölzernen Kopf. "Du bist ein Kobold" sagte er, "hör auf, dich wie ein Bahuni zu benehmen!" Er hielt seinen Freund immer noch am Gewand fest und strebte mit ihm in die Richtung, in der das Baumtor lag. "He, Moosfax, wo gehen wir eigentlich hin?" fragte Gnisseldrix, um ein Ende des Streits und dieser haarsträubenden Situation bemüht. Der eine Waldkobold ließ den anderen los und sah ihn an.

"Du musst nach Hause, mein Freund. Ich erkenne dich nicht wieder, so ... so elfisch bist du geworden. Es tut dir nicht gut, dauernd unter den Bahuni zu sein, Pflicht hin oder her. Es ist gegen deine Natur. Wir sind keine Hauskobolde. Wir gehören in den Wald, in die Freiheit, zu den Tieren. Wenn du hier Freunde hast, dann müssen sie dich mit mir gehen lassen. Sie werden es bestimmt verstehen."

Gnisseldrix dachte nach. Es stimmte, er war zwar immer noch viel koboldischer als die anderen Elfen, Feen und Zwerge, aber er war viel weniger ein Kobold, als zu dem Moment, als er Titania betreten hatte. Die Geisterinsel sehen, Oberons Palastgarten besuchen und in Ker odTalan zu feiern, plötzlich hatte er so große Sehnsucht danach. Er wollte nach Hause, eine kleine Weile wenigstens. Urlaub nannten die Bahuni das und freuten sich immer sehr darauf. Allerdings gingen sie dabei meist von daheim fort. Er sah Moosfax wieder an, der still gewartet hatte. In seinen nussbraunen Augen stand die Bitte, ihm jetzt bloß keine Ausrede mehr zu erlauben.

Moosfax fiel plötzlich etwas ein. Die Nuss! "Ich hab hier was für dich." sagte er, zog die kleine Haselnuss aus einer Tasche und gab sie seinem Freund. Die Nuss war warm, warm wie ein Sommernachmittag und feucht war sie, wie Herbstlaub. Sie roch, nein, sie duftete nach Morgennebel, nach Regen am Mittag, nach frischem Koboldkraut und Spinnweben.

"Aber ich muss," sagte er ganz versonnen," noch dafür sorgen, dass jemand meine Aufgaben übernimmt, wenn ich weg bin." Moosfax Herz machte einen Hopser. Wülüdühü! Gnisseldrix würde mit ihm kommen. Ruhig sagte er: "Klar, das machen wir noch schnell und dann laufen wir los."




So schnell, wie sich das der ungeduldige Moosfax vorgestellt hatte ging es dann aber doch nicht. Mit einem: "Ich weiß schon, wen ich frage" war Gnisseldrix aufgestanden und in Richtung Zitadelle gegangen, Moosfax hinterdrein. Sie waren durch die Gassen gelaufen und hatten sich Gnisseldrix Lieblingsplätze angesehen: ein Haus in einer Eiche, einen Laden mit glitzernden Steinen und Schmuck, eine Kneipe, die von Zwergen geführt wurde und in der es seltsame Getränke und Musik gab. Sie sahen sich einen Teich an, in der eine große Muschel lag und sich langsam öffnete und schloss. Bei genauem Hinsehen erkannte man darin ein Zimmereinrichtung und eine schöne Dame, die im Wasser schwebte. Moosfax staunte immer und immer wieder. Am meisten aber staunte er über den Hafen und all die merkwürdigen Schiffe, die er dort liegen sah. Die Bahuni machten einen fürchterlichen Lärm. Sie schrieen einander an, polterten mit Kisten und Holzstämmen, ließen die Segel knattern und Fässer über das Pflaster rollen.

Von dort führte ihn Gnisseldrix wieder in die Zitadelle. Sie kamen durch ein anderes Tor herein, als das welches Moosfax bei seinem ersten Besuch benutzt hatte und er hoffte inständig, dass sie nicht wieder den Feengarten durchqueren müssten. Die Zitadelle beeindruckte ihn genauso, wie beim letzten Mal, als sie jetzt eine Treppe hinauf stiegen, die mit einem Geflecht aus weißem Stein überdacht war. Von der Decke hingen filigrane Lampen herunter, in denen ein sanftes Licht brannte denn es war inzwischen Abend geworden. Die Sonne versank irgendwo jenseits der Stadt und sandte rote Strahlen durch Fenster und Öffnungen. Wieder fiel ihm etwas ein und er zupfte den anderen Waldkobold am Gewand. "Du, Gnisseldrix, ich möchte so gern die Feuerzinne sehen." Die Augen des Freundes glänzten wie nasse Kastanien, als er sich umdrehte. "Da gehen wir eben hin," sagte er, "ich möchte sie auch noch einmal sehen, bevor ich fortgehe."

Sie kamen von der Treppe auf eine weite Terrasse, von der hoch über den Gebäuden der Zitadelle eine Brücke zu einem Turm hinüber führte. Moosfax dachte, das rote Licht, in das alles getaucht war käme noch vom Sonnenuntergang, aber er irrte sich. Als er an dem schlanken, weißen Turm emporblickte sah er die Feuerzinne. Hoch oben an der Spitze des Turmes glühte und pulsierte sie gegen den Nachthimmel in rotem und weißen Licht. Eine mächtige Kugel aus Glasstahl, von Riesen geblasen und von Zwergen, Elfen und Feen in den Turm gesetzt. Man sagte, ein Kanal führe von dort oben direkt bis in das Herz der Yddia und von dort käme die reinste und heißeste Lava. Das Feuer, das in vielen Kriegen in der Feenstadt gewütet hatte war hier eingeschlossen worden, um als Leuchtturm über das Meer der Sirenen zu wachen.

Moosfax war überwältigt von dem Anblick, und er und Gnisseldrix standen still da und staunten. Das Diadem der Yddia war am Nachthimmel aufgegangen und krönte die Zinne mit seinen Sternen.

"Komm", sagte Gnisseldrix plötzlich, "wir gehen rauf zu ihnen." Er nahm Moosfax bei der Hand, so wie der ihn heute schon viele Male, und ging über die Brücke zum Turm hinüber. "Zu ihnen", fragte dieser verblüfft, "zu wem denn?" "Na, zu den Kobolden." gab sein Freund zurück und begann die Treppe zu ersteigen, die sich an dem Turm emporwand. "Zu welchen Kobolden?" Moosfax stutzte, da war doch etwas gewesen, an das er unbedingt denken sollte. Und es hatte mit der Feuerzinne zu tun. Richtig, jetzt fiel es ihm ein: er sollte seinem Freund Rotglüh, dem Feuerkobold daheim in Oberonia davon erzählen. Er träumte schon lange von der Feuerzinne und hatte sie noch nie gesehen.

Die beiden Waldkobolde liefen und sprangen die gewundene Treppe hinauf. Obwohl die Nacht dunkel geworden war und kein Mond schien reichte das Licht der Feuerkugel über ihnen weit den Turm hinunter und sie liefen nicht Gefahr auf ihrem Weg nach oben zu stolpern. Es dauerte lange bis sie in die Nähe der Kugel kamen und die Hitze spürten. Beiden Kobolden war ein wenig unwohl. Nicht wegen der Höhe, in der sie sich befanden, aber die Anwesenheit eines so großen und mächtigen Feuers war für zwei Wesen, die aus Holz bestanden doch eine Quelle der Gefahr.

Ein paar Elfengrößen unter der Kugel blieben sie stehen und sahen nach unten auf die Stadt. Es war ein überwältigender Anblick. Von hier oben sah Titania wirklich wie eine große Blüte aus. Auf den Zinnen der Umfassungsmauer brannten Lampen und zeichneten so die Ränder der Blüte nach, und von der Mitte aus floss das Licht nach außen und wurde langsam schwächer bis zu den Spitzen der Blätter. "Ohh," machte Moosfax, "ist das schön." Gnisseldrix nickte nur und fragte sich, warum er in all seinen Tagen in Titania nicht öfter hier herauf gekommen war.

Unter sich sahen sie den Hafen, der sich in einem ummauerten Blütenblatt befand, das ins Meer der Sirenen hineinragte. Von dort glitt der Blick hinaus auf die Wasserfläche, in der sich das Diadem spiegelte. In weiter Ferne sahen die Kobolde ein einsames Licht auf dem Wasser, vermutlich ein Schiff, das auf Titania zuhielt oder die Stadt vor einiger Zeit verlassen hatte. Irgendwo dort draußen, dachte Moosfax, liegt unsere Heimat: Dewhani Estrivel.

Nach einer Weile stiegen sie das letzte Stück zur Zinne hinauf. Oben lief eine Balustrade um die Kugel aus Glasstahl herum. Es war sehr warm, aber lange nicht so heiß, wie es Moosfax erwartet hatte. Das Licht strahlte pulsierend in die Dunkelheit. Er sah nun, dass die Kugel zu etwa zwei Dritteln mit Magma gefüllt war aus deren Mitte immer wieder Blasen weiß glühender Masse heraufstiegen, sich öffneten und gleißendes Licht entließen. An den Rändern wurde die Masse dunkler, erst orange, dann rot und wälzte sich nach unten in einem immer währenden Kreislauf.

"Hallo!" Gnisseldrix klopfte an das Glas und winkte. In der Magma bewegte sich etwas. Aus der Masse stieg eine kleine Person, etwa so groß wie sie beide, heraus wie aus einem Teich, lachte und winkte zurück. Moosfax erkannte einen Feuerkobold, und dann noch einen, und noch einen. Gnisseldrix lachte ihn an: "Da sind sie, sie wohnen da drin und kümmern sich um das Feuer." Moosfax nickte begeistert. Inzwischen waren noch mehr Feuerkobolde der glühenden Masse entstiegen. Einige waren zu den beiden Waldkobolden an die Wand aus Glasstahl gekommen, einige planschten und sprangen im Magma herum, wie in Wasser.

Es war ein verzauberter Moment oben auf der Zinne. Die Nacht war dunkel und ein Windhauch zauste an den Mützenzipfeln der Waldkobolde. Ihre Gesichter aber waren warm und sie schauten lange wie gebannt in eine Welt aus Feuer, Hitze und Licht.

Einige Zeit später waren ein paar der Feuerkobolde wieder abgetaucht und Gnisseldrix zupfte Moosfax am Gewand. "sie müssen sich wieder um das Feuer kümmern. Komm, ich zeig' dir die Bibliothek." Moosfax erwachte wie aus einem Traum. Doch dann nickte er und folgte seinem Freund schweigend die Treppen hinunter. Hinter ihnen blieb der Schein der Zinne zurück, als sie sich wieder zwischen die Mauern der Zitadelle begaben.




Dem langsamen aber gleichmäßigen Druck ausgesetzt legten sich der Staub zur Ruhe. Nach endlosen, aufregenden Zeiten des Zermahlens zwischen den Kräften der Gebirge war dies eine kurze Erholung von vergangenen Strapazen. Körnchen um Körnchen legte sich beieinander in traumlosem Schlaf. Näher und näher rückten sie, schmiegten sich aneinander wie zahllose Liebende, den Sinn darauf gerichtet eins zu werden. Die wenigen verbliebenen Luftteilchen ächzten unter der Enge, die sie jetzt umgab. Sie wurden sich bewusst, dass sie in der Welt des Gesteins keine Heimat mehr hatten und, sofern sie nicht die Flucht antreten konnten, ihr einsames Grab in der Fremde fänden, vergessen vom Wind und nur selten besucht vom Wasser. Stille füllte die Ritzen zwischen den Staubteilchen wie eine Mutter, die durch die Reihen ihrer schlafenden Kinder geht und verschwand schließlich, als nach langer Zeit ...

"LANGWEILIG!" rief eine Stimme mitten in den Schlummer des werdenden Gesteins. Doch sie verhallte ganz ohne Echo. Ein Gebirge ließ sich bei der Zeugung neuen Steins eben nicht gern stören. Younani, Bibliothekskobold in der großen Bibliothek von Titania, war frustriert. Schon dreimal war sie bei der Lektüre dieses Buches eingeschlafen und es war ihr auch diesmal nur knapp gelungen, dem Schicksal der Sedimentschicht, zu Stein gepresst zu werden, zu entkommen. Dabei hatte sich der Titel des Buches so spannend angehört. "Schlafende Drachen" hieß es, geschrieben von dem Bergriesen Tugh Stein, und Younani hatte gehofft, vielleicht einen davon wecken zu können. Aber stattdessen handelte das Buch von einem einsamen, nicht sehr hübschen Stein, den keiner lieb hatte und der schließlich bei einem Erdbeben zwischen ein paar schlecht gelaunte Gesteinsschichten geriet und zermahlen wurde. Wirklich ein dramatisches Schicksal. Aber so war Riesenliteratur eben, riesig groß, riesig umfangreich und riesig langweilig. Mit Grausen dachte sie an den Riesenroman "Sturmhöhe", in dem eine Wolkenriesin sich in einen Sturmriesen verliebte. Auf dem Höhepunkt ihrer Liebe fegte er sie versehentlich vom Himmel und das anschließende Unwetter, bestehend aus seiner stürmischen Trauer und ihren platzregenartigen Tränen verheerte ganze Landstriche. Das war auch so eine Eigenart der Riesenliteratur, immer ging etwas kaputt.

Steinschicksale liegen schwer im Magen, dachte Younani und schickte sich an, sich mit ein paar Bahuni-Kinderbüchern zu entspannen. Zwerge mit Zipfelmützen, Feen in rosa Kleidchen und sprechende Bären waren der Nachtisch der Literatur. Sie sprang aus dem wirklich riesigen Buch heraus, es lag auf dem polierten Holzboden, weil es sogar zu groß war um auf einem der Tische zu Platz zu finden, und machte sich daran, es zuzuklappen. Das war eine schwere Arbeit für einen Kobold der nur drei Fuß hoch ist. Ächzend stemmte sie den Buchdeckel und die schon gelesenen Seiten hoch bis diese Übergewicht bekamen und das Buch von allein zufiel. "Rrrums!", hallte es durch die Bibliothek und im Licht der Lampen, die hier und da in den Gänge zwischen den Bücherregalen brannten, machte sich Younani schließlich auf die Suche nach dem Regal mit den Kinderbüchern.




"Ooohhh!" machte Moosfax schon wieder, als die beiden Waldkobolde die Bibliothek von Titania betraten, und blieb überwältigt stehen. Vor ihnen öffnete sich eine mächtige Halle, die gefüllt war mit verschiedensten Regalen voller Bücher und Schriftrollen und einer Menge anderer, merkwürdiger Dinge. Weit über ihnen schwebte ein fein gemeißeltes Gewölbe in farbigem Marmor, das aussah, als wären Ranken und Blütenzweige zu Stein erstarrt. Der Boden war mit einem Mosaik ausgelegt, das irgendwie nach einem Muster aussah, welches sich jedoch nicht auf den ersten Blick erschloss. Zwischen Boden und Decke waren etliche Ebenen aus Holz eingezogen, die sich hier und da überschnitten, mit Treppen und Leitern verbunden waren und wie das Gewirr der Zweige in einer Baumkrone aussahen. Zwischen den Regalen brannten Lichter und schufen so kleine, helle Inseln in der Dunkelheit des großen Raumes.

Einige Naturgeister hielten sich in der Bibliothek auf, die meisten von ihnen waren Silberelfen. Sie gingen mit Büchern oder Schriftrollen in den Händen zwischen den Regalen hin und her, bestiegen Treppen und Leitern oder saßen an großen Lesetischen. Ein sehr alter Silberelf kam den beiden Kobolden entgegen. Er trug eine lange, weiße Robe, hatte silberweißes Haar und einen ebensolchen Bart. "Was führt wohl zwei Waldkobolde in unsere Bibliothek?" fragte er freundlich. Gnisseldrix wusste, dass diese Begrüßung nicht nur aus Höflichkeit geschah. Kobolde und Bibliotheken passten nun einmal nicht zusammen, bis auf wenige Ausnahmen jedenfalls. Denn Bibliotheken hatten einen gewisse Ordnung, die es einzuhalten galt. Die meisten Kobolde aber waren allergisch gegen jede Art von Ordnung und so trafen diese beiden Welten meist nicht aufeinander ohne dabei Schaden zu nehmen. Also grinste der Waldkobold harmlos, das dachte er zumindest, und erwiderte: "Seid gegrüßt, Meister Bibliothekar. Das ist mein Freund Moosfax von der Geisterinsel. Wir sind auf der Suche nach Younani." Der Bibliothekar lächelte erleichtert "Da kann ich euch behilflich sein. Ich habe sie vor kurzem dort drüben zur Abteilung mit den Kinderbüchern der Bahuni gehen sehen." Er wies hinauf zu einigen Plattformen, die sich zu ihrer Linken entlang einer Säule in die Höhe wanden." "Prima, danke!" antwortet Gnisseldrix und zupfte den immer noch staunenden Moosfax am Ärmel. "Komm schon," zischte er, "und fass bloß nichts an!"

Die Kobolde flitzten los und sprangen und hangelten sich am ersten Treppengeländer hoch als der Bibliothekar sich hinter ihnen laut räusperte. "Hhhrrrm," machte er, "ich bitte doch darum die Treppe zu benutzen und sich in Rücksicht auf die Lesenden in diesen Räumen angemessen zu benehmen." Moosfax hatte ein wölfisches Grinsen im Gesicht und holte gerade Luft, um etwas Freches zu antworten, da stieß ihn Gnisseldrix heftig an und legte warnend den Finger auf die Lippen. Zum Meister Bibliohtekar sagte er: "Natürlich, Meister Bibliothekar, Entschuldigung." Dann stieg er die Treppe hinauf. Moosfax hinter ihm verdrehte die Augen, schnitt eine Grimasse und stapfte, seinen Freund nachäffend, betont majestätisch die Treppe hoch.




"Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?" fragte einer der acht kleinen, zipfelbemützen Kerlchen und schaute vorwurfsvoll und eine bisschen weinerlich auf einen schmutzigen Suppenteller, der vor ihm auf dem Holztisch stand. Vieri war den Tränen nahe, ausgerechnet ihm musste das passieren. Er war der Ordentlichste von ihnen allen und wurde sowieso deswegen immer von den anderen Zwergen gehänselt. Die anderen sahen sich betroffen an. Wer konnte nur so etwas Böses getan haben? Jeden Morgen nach dem Frühstück wuschen sie ihre Tellerchen ab und stellten sie wieder an ihren Platz auf dem Tisch, um abends dann davon ihre Suppe zu essen. Und jetzt stand das Tellerchen verrutscht auf dem Tisch und war mit angetrockneter Milch und Haferflocken verdreckt. Eine Katastrophe!

"Er war's!" sagte plötzlich Achti in die Stille und zeigte auf Sechsi. Die Köpfe der Zwerge ruckten herum. Sechsi wurde auf der Stelle rot wie eine Paradiesapfel und stotterte "Ich ... ähh ..., aber ... nein, ich meine... ." Er wich zurück an die Wand des kleinen Zimmerchens. "Das war gemein!" zischte Eini und sein Gesicht, wie auch das der anderen Zwerge verdüsterte sich - bis auf das von Achti. Gespannt beobachtete er die Szenerie. "He, Leute", stammelte Sechsi erschrocken, als sich der Kreis der kleinen Männer dichter um ihn schloss, "so geht die Geschichte doch nicht, das war keiner von uns, ehrlich .... uaaaah!" Sechsi schrie ungläubig auf, als sich seine sieben, nein sechs, Brüder auf ihn stürzten. Es rumpelte in der kleinen Stube, der Tisch fiel um und die Teller zerbrachen am Boden. Sechsi wurde gepufft und gestoßen und seine Brüder stießen wilde Zwergenbeschimpfungen aus. Achti saß abseits auf den Dielen und konnte sich kaum halten vor Lachen. Jede neue Zwergenbeschimpfung reizte ihn noch mehr ebenso wie das Gepurzel der Zwerge, die sich übereinander warfen und Sechsi regelrecht unter sich begruben.

"Rrrrrumms" machte es auf einmal und die Tür zum Schlafzimmerchen der Zwerge flog auf. Die Zwerge erstarrten, selbst Achti schaute verdutzt zur Tür. Durch die Tür kam ein Mädchen. Sie war doppelt so groß wie die Zwerge und scheinbar auch doppelt so wütend. "Was soll das!" schrie sie herrisch, "Habt ihr kleinen Nichtsnutze denn nichts besseres zu tun, als Euch zu zanken? Da liege ich still und ruhig auf den Bettchen und warte darauf, dass ihr reinkommt und mich weckt und stattdessen muss ich selber aufstehen und finde euch so!" anklagend zeigte sie mit einem zarten, beringten Finger auf das Zwergengepurzel.

"Sechsi hat von Vieris Tellerchen gegessen." murmelte Eini kleinlaut und rappelte sich auf. "So ein Schwachsinn!" donnerte das Mädchen. "Seid ihr jetzt völlig blöd? Das bin ich gewesen, Herrgottnochmal." ihr feines Gesicht überzog eine leichte Röte. "Dann hättest du ja auch aufwaschen können." platzte Vieri vorlaut heraus, erhielt jedoch dafür von Dreii und Fünfi sofort einen heftigen Schlag in die Rippen. "Was hast du gesagt?" fragte die Schöne, jetzt gefährlich leise und ruhig. "Ähh, nichts ... äh, Fräulein." keuchte Vieri unter Schmerzen. Die Zwerge wichen vor ihr bis an die Wand ihrer kleinen Wohnstube zurück. "Für euch bin ich das Schneewittchen!" brüllte sie und warf heftig ihr langes, schwarzes Haar zurück. "Wer vom Euch Komikern ist eigentlich auf den bekloppten Gedanken gekommen, dass einer von euch von dem Teller gegessen hat? Ihr wart doch den ganzen Tag zusammen im Bergwerk." "Das war Achti." brachte Eini zögernd hervor und zeigte auf den Zwerg, der immer noch kichernd auf dem Boden saß ... und jetzt schlagartig aufhörte zu lachen. Schneewittchen fuhr herum. "Achti?" fragte sie ungläubig. "Das darf ja wohl nicht wahr sein. Ihr seid ja dümmer als die Palastwache erlaubt! Es gibt keinen Achti. Das Märchen heißt Schneewittchen und die sieben Zwerge. Sieben! Versteht ihr, nicht Acht."
Schneewittchen verdrehte die Augen. Die Zwerge murmelten leise und berieten sich. Achti stand derweil auf, "Ja also, Leute, war nett mit euch. Ja, dann geh ich mal wieder, hhmm, also viel Spaß zusammen. Man sieht sich. Tschööö." Und mit diesen Worten hatte er sich zur Tür vorgetastet und stürzte hinaus. Schneewittchen und die, nun wieder, sieben Zwerge sahen ihm nach und hörten ihn draußen prustend lachen.
Die beiden Waldkobolde waren nach einigen Treppen und hängenden Brücken auf eine Plattform gelangt, wo in vielen Regalen Bücher und Schriftrollen mit Geschichten für Kinder der verschiedensten Völker Magiras lagen und standen. "Hm, hier müsste sie irgendwo sein." hatte Gnisseldrix gesagt und sich umgesehen. Moosfax war zu einem Schrank gegangen, wo etliche Flaschen standen, in denen ununterbrochen Schwärme kleiner Bläschen nach oben stiegen. "Was ist das?" fragte er neugierig. Gnisseldrix kam näher. "Das sind Märchen aus dem Wasservolk. Das hier ist Algenkäppchen und der böse Oktopus, hier ist Der Hai und die sieben Delphinlein, König Muschelbart und das da ist Das tapfere Bewahrerlein." "Das kannst du lesen?" fragte Moosfax beeindruckt. Gnisseldrix nickte und sah sich wieder suchend um. "Bestimmt ist sie in irgendeinem Buch." Sagte er vor sich hin. "In was für einem Buch denn?" fragte Moosfax ein wenig genervt. "Sagst du mir jetzt endlich wer diese Younani ist?" Gnisseldrix drehte sich wieder zu ihm um: "Sie ist ein Bücherkobold. Das sind Verwandte der Hauskobolde, sie leben in Büchern." Moosfax zog beeindruckt die Augenbrauen hoch. "Oho," machte er, "in Büchern also. So wie in diesem hier?" Er betrachtete ein Buch, das aufgeschlagen auf einem kleinen Tischchen lag.

Es war ein Buch, das fast nur Bilder enthielt und war auf einer Seite aufgeschlagen, auf der eine schönes, schwarzhaariges Mädchen gerade sieben kleine Kerle mit roten Mützen anschrie.

Neugierig blätterte Moosfax weiter.

Auf der nächsten Seite sah man die kleinen Männer im Mondenschein aus der Hütte schleichen und sich im Garten beratschlagen, während das Mädchen über sieben kleine Bettchen liegend im Haus schlummerte. Moosfax blätterte. Einer der Zwerge bestieg ein Rehlein und ritt in den Wald. Die anderen sechs verrammelten leise das Schlafzimmerfenster und die Tür.

Umblättern.

Der Zwerg und sein Rehlein standen in einer großen Halle und der kleine Mann sprach zu einer wunderschönen, aber böse drein schauenden Frau. Dann ritt eine Schar Soldaten, diese Frau an der Spitze durch den nächtlichen Wald. Moosfax wurde etwas mulmig bei der Richtung, die diese Geschichte nahm.

Umblättern.

Die Soldaten stürmten das kleine Häuschen und traten die Schlafzimmertür ein. Das schwarzhaarige Mädchen schlich mit einem kleinen Zwerg, der eine Lampe trug durch den Wald davon. Moosfax atmete auf.

Auf der nächsten Seite saß das Mädchen weinend in der verwüsteten Küche des kleinen Häuschens während ein achter Zwerg den anderen sieben Zwergen eine Standpauke hielt. Dann räumten die sieben Kerlchen die Stube auf und das Mädchen machte sich mit einer Kuchenform am Ofen zu schaffen.

"Aaaah!" schrie Moosfax auf, als sich plötzlich aus dem Bilderbuch eine Gestalt erhob. "Aaaah!" machte die Gestalt zurück und fiel rücklings vom Tisch. Aus den Tiefen der Bibliothek hörte man ein mahnendes Räuspern.

"Das ist Younani." sagte Gnisseldrix trocken und grinste. "Younani, das ist Moosfax, mein Freund von der Geisterinsel." Der Bibliothekskobold und der Waldkobold starrten sich noch immer entgeistert an. Dann rappelte sich der Bibliothekskobold auf und streckte Moosfax die Hand entgegen. "Freut mich!" sagte Younani. "Ja, mich auch." antwortete ihr Gegenüber und nahm ihre Hand. "Und," sagte sie dann, "warum seid ihr hier?"

Moosfax ließ sich auf einen kleinen Schemel plumpsen und nahm sich eins der herum liegenden Bücher. Das hier war Gnisseldrix' Sache.

Younani schaute den Waldkobold an, der ein bisschen verlegen mit seinen Fingern spielte. "Also," sagte er, "ich wollte dich was fragen. Es ist, na ja, es ist eine ziemlich wichtige Sache. Weißt du, ich wollte mit Moosfax, ich meine, weil ich doch so lange nicht zu Hause war und ... ."

"Was?" fragte Younani und kniff die Augen zusammen, "Ich verstehe kein Wort, du bist doch hier zu Hause, oder nicht? Hör endlich auf rumzudrucksen und sag was los ist."

Gnisseldrix holte tief Luft und sagte dann: "Ich will mit Moosfax zurück auf die Geisterinsel gehen. Ich weiß noch nicht wie lange, und ich möchte, dass du meinen Platz als zweiter Handelsmeister von Titania einnimmst." Er überlegte einen Augenblick, dann zog ein einen kleinen, metallenen Schlüssel aus der Tasche. "Das hier ist der Schlüssel zu meinem Büro. Ich ernenne dich hiermit zu meinem Nachfolger auf unbestimmte Zeit. Sollte der Rat der Stadt mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sein steht es ihm frei, eine andere Wahl zu treffen. Tja, ... äh, ... , das war's also."

"Was?" Younani schüttelte den Kopf, als wolle sie einen Schwarm Feen verscheuchen.

"Du sollst an meiner Statt stellvertretende Handelsmeisterin von Titani ... ."

"Ja, ja, " unterbrach Younani, "das habe ich schon verstanden. Aber ... du willst weggehen? Wissen das die anderen schon?"

"Äähhm, nein, ich hab's noch keinem gesagt. Ich hatte gar keine Zeit dazu. Weißt du, Moosfax will so schnell wie möglich nach Hause und da ist das Fest des Feuerleuchtens in Kero od Talan am Ende dieses Mondes, also morgen, wo der Pen Raill ... ."Gnisseldrix brach ab und schaute unglücklich auf seine Schuhspitzen. Younani runzelte die Stirn. "Warum hast du's jetzt noch keinem gesagt?" Der Waldkobold schaute verlegen hoch : "Ich trau mich nicht." Jetzt machte Younani runde Augen "Was? Warum? Du traust dich nicht?" Sie prustete. "Du traust dich, im Rat zu sprechen, du traust dich, die Beltyrenkapitäne im Hafen rumzuschubsen, du traust dich vor aller Welt aufzutreten und du traust dich nicht, deinen Freunden zu sagen, dass du nach Hause willst?" Gnisseldrix schaute wie ein verwundetes Reh. Sein Haselaugen blickten hierhin und dorthin, nur nicht Younani an. "Das kannst Du vergessen!" polterte diese. "Von mir aus gehen wir zusammen und von mir aus jetzt gleich, aber du wirst dich nicht davonstehlen. Also so was! Was sagst du eigentlich dazu?" der Bücherkobold drehte sich zu Moosfax um. "Wer? Ich?" fragte der und schaute von seinem Buch auf. "Ich finde, sie ist ein Bahuni." "Elbenkönig Oberon, es ist ja gut!" meldete sich Gnisseldrix wieder zu Wort. "Ich mach's. Ihr habt ja recht. Ich wünschte nur, ihr würdet nicht so damit angeben."

Einige Zeit später traten drei vergnügte Kobolde aus der Bibliothek von Titania heraus und wandten sich in Richtung Zitadelle. Der Abend war fortgeschritten aber ein warmer Wind wehte vom Meer der Sirenen über die Stadt. "Hhm," machte Gnisseldrix, "Vanyar wird sicher schon zu Hause sein. "Das glaube ich kaum." sagte Younani, "Er sitzt in letzter Zeit lange an seinem Schreibtisch und arbeitet." "Aber Keo und Falk sind zu Besuch. Da macht er bestimmt viel früher Schluss." Younani dachte nach. "Ach du liebes Elfchen!" rief sie dann aus, "das habe ich ja vor lauter Lesen völlig vergessen! Keo hat mir heute Mittag einen Specht geschickt, mit der Nachricht, dass sie am Abend ein kleines Fest veranstaltet. Los, kommt schon, wir müssen uns beeilen, wir sind schon viel zu spät!" Mit einem kleinen Knall wurde aus Younani ein schlappohriges, fliederfarbenes Kaninchen, das ungeduldig auf der Stelle hüpfte. Gnisseldrix packte Moosfax, der verträumt zur Feuerzinne hinaufgeblickt hatte, am Ärmel und zu dritt sausten sie die Freitreppe der Bibliothek hinunter.

"Warum rennen wir?" japste Moosfax, als sie am Ende der Treppe in eine Gasse abbogen. "Keo gibt ein Fest, und wir sind schon viel zu spät." Gab Gnisseldrix schwer atmend zurück. Moosfax hätte gerne noch gefragt, wer diese Keo eigentlich war und warum sie hinter einem lilafarbenen Kaninchen herrannten, aber dazu hatte er keine Puste mehr und zog es vor, weiter zu laufen.

Das Zuhause des Handelsmeisters lag in dem Wald, an dessen Rand auch Gnisseldrix seinen Haselbusch hatte. Es war dunkel hier draußen im norlichen Blütenblatt, nur ganz zart glimmten die Sternenspiegel, kleine, weiße Blumen, an den Rändern des großen Pfades, dem die Kobolde folgten. Als sie in den Wald kamen, leuchteten Glühwürmchen ihnen den Weg, doch bald brauchten sie diese Führung nicht mehr. Vor ihnen hörten sie fröhliche Musik und viele Stimmen, die sangen und lachten. ‚Tief in den Wäldern ist Tanz und Gesang, fröhliches Lachen und heiterer Klang ...' hörten sie ein bekanntes Lied der Naturgeister. Gnisseldrix wurde langsamer und wollte gerade so etwas sagen wie :'Jetzt brauchen wir nicht mehr zu rennen, wir sind gleich da.', als das Kaninchen Younani vor ihnen mit einem dumpfen Geräusch und einem leisen Quieken gegen etwas prallte. Auch die beiden Waldkobolde kamen nicht mehr geordnet zum Stehen und landeten neben Younani, die plötzlich wieder Younani war, auf den Waldboden. "Was ist das denn?" fragte eine tiefe, vergnügte Stimme, "Etwa Koboldsalat?" Die Kobolde konnten den Fremden in der Dunkelheit kaum sehen, aber das war auch nicht nötig. Sie spürten sofort, wer es war und wären sie nicht so gerannt, hätten sie schon beim Näherkommen seine Gegenwart bemerkt. Moosfax rappelte sich als erste auf. "König Oberon!" rief er lachend, "An diesem Ort habe ich euch wirklich nicht erwartet." "Ich bin wo ich bin." antwortete der Elbenkönig während auch Younani und Gnisseldrix aufstanden. "Seid ihr auch auf dem Weg zum Fest der Waldelfen?" fragte er dann. "Ja." sagten die Kobolde zusammen und Gnisseldrix ergänzte: "Wir sind schon viel zu spät." "Ich bin nie zu spät." sagte Oberon, während sie sich nun zu viert in Bewegung setzten. "Ich bin immer dort, wo ich sein will wenn ich dort sein will."

Es war wunderbar, so mit Oberon durch den Wald zu gehen. Das lag nicht etwa daran, dass er etwas Besonderes tat oder sagte. Aber in seiner Gegenwart spürten die Naturgeister viel mehr als sonst ihre Wurzeln. Die Luft sprach, wenn Oberon da war, die Erde sang und der Himmel überspannte sie alle mit freundlicher Hand. Für Moosfax war es, als ob ein weitgereister Freund die Familie besuchte, denn auf der Geisterinsel sind sich die Naturgeister ihrer Heimat und ihres Seins stets bewusst. Für Younani und für Gnisseldrix jedoch, die in der Wachen Welt lebten war es, als ob eine Tür aufgestoßen würde durch die warmer Abendsonnenschein und der Duft nach Zuhause hereinströmte. Gnisseldrix war befangen in Oberons Nähe und staunte darüber, wie selbstverständlich Moosfax mit dem König umging. Ein bisschen fühlte er sich betrogen um diese Leichtigkeit, die Oberon und Moosfax ausstrahlten. Während er und viele andere Naturgeister, Vanyar, zum Beispiel und Finyen, Luyen oder Jiselle, sich in der Wachen Welt mit Krieg, Diplomatie, Intrigen und Finsternis herumschlagen mussten, konnten der Elbenkönig und die anderen Naturgeister auf Dewhani Estrivel fröhlich und unbeschwert sein. Oberon war einfach gegangen und hatte Finyen die Ehre seiner Nachfolge gegeben, aber auch deren Last und Ungewissheit. Und wie er den Elbenkönig so in der Dunkelheit neben sich gehen sah, beschwingten Schrittes, volle Kraft und Heiterkeit, fiel Gnisseldrix ein, dass er gerade selbst im Begriff war, dasselbe zu tun. Er wollte seine Aufgabe abgeben und zurückkehren auf die Geisterinsel. "Warum hast du uns verlassen, Oberon?" fragte er leise. Der große Elf gluckste. "Ich habe euch nicht verlassen. Ich bin immer da, wo es nötig ist. Jetzt bin ich zum Beispiel hier." ‚Was soll das heißen?' wollte Gnisseldrix rufen. ‚Warum bist du hier? Weil es ein Fest gibt? Weil es umsonst zu trinken gibt? Weil du ewig feiern willst?' Aber dann sank die Erkenntnis in sein Herz wie ein warmer Stein auf den Grund eines Teiches. Der Waldkobold hatte gerade Atem geholt, um etwas zu erwidern, als sie aus dem Schatten der Bäume auf eine kleine Lichtung heraustraten.

Der Platz lag am Fuß eines mächtigen Baumes und war mit Lampen erleuchtet. Hölzerne Tische standen dort, auf denen sich allerlei Speisen befanden. Die Waldelfe Keo war auch wegen ihrer Kochkunst weithin bekannt. Vanyar stand an einem Feuer über dem ein kleines Wildschwein briet und übergoss es mit Soße. Etliche andere Naturgeister, aber auch Bahuni saßen und standen auf der Lichtung und redeten und lachten. Moosfax sah den Mann mit Bart, den er am Morgen mit Falk in der Zitadelle getroffen hatte und er erkannte auch die schöne Frau, die in der Muschel im See lebte.

Oberon ging auf Keo zu, die lebhaft mit Finyen und Crysalgira sprach. Er zupfte sie am Arm und sagte: "Seid mir gegrüßt, Keo Falkenauge, und hab Dank für die Einladung zu diesem Fest. Und schau, ich habe auch ein paar säumige Gäste mitgebracht, die ich im Wald aufgesammelt habe." Die zwei Elfen und die Menschenfrau sahen die Kobolde an, die hinzugetreten waren. "Herr Oberon, ich freue mich sehr, dass ihr hergekommen seid. Ich hatte schon befürchtet, dass unsere Nachricht euch nicht erreicht." antwortete Keo. Oberon lachte. "Der Ruf der Malataya Elomani erreicht mich immer, nur manchmal ruft das Land lauter als einzelne von Ihnen. Ich werde jetzt eins von euren berühmten Fleischküchlein probieren. Ich freue mich schon die ganze Reise darauf." Und mit diesen Worten verließ der Elbenkönig die kleine Gruppe und wanderte zum Tisch mit den Leckereien hinüber. "Tja, also, Keo," druckste Younani herum, "wir sind ein bisschen spät, aber ich hatte so ein spannendes Buch, das ich, na ja, erst zuende bringen musste." "Ach, das ist nicht schlimm," sagte Keo, "das Ferkel ist ohnehin noch nicht fertig und wir haben gerade erst mit dem Fest angefangen." Dann blickte sie Gnisseldrix und Moosfax an: "Hallo, du Waldkobold, wer bist denn du?" Moosfax trat vor und machte eine vollendete Verbeugung während Gnisseldrix hinter ihm ein ‚Oh nein, bitte nicht'-Gesicht machte. Aber Moosfax ließ sich nicht zu einer frechen Bemerkung oder einem Streich hinreißen. ‚Du Holzkopf,' sagte er später zu Gnisseldrix, ‚ich kann schon unterscheiden zwischen jemandem, der Respekt und jemandem der einen Koboldscherz verdient.' Zu Keo sagte er: "Ich bin Moosfax und ich grüße Euch herzlich, edle Dame. Euer Ruf eilt Euch auch auf der Geisterinsel voraus. Ich bin sehr erfreut, heute Euer Gast sein zu dürfen." Die Waldelfe zog eine Augenbraue hoch: "Ihr dürft, ihr dürft!" sagte sie herrschaftlich und versuchte, nicht zu lachen. Dann ging Moosfax zu den beiden anderen Damen und begrüßte diese ebenfalls formvollendet. Gnisseldrix tat dies ein bisschen weniger offiziell. "Hallo Keo, entschuldige, dass wir so spät sind. Ich habe Moosfax ein bisschen die Stadt gezeigt." "Nun, in dieser Stadt gibt es ja auch so einiges zu sehen." warf Crysalgira ein. "Oh, ja!" rief Moosfax begeistert. "Die Feuerzinne ist überwältigend und der Hafen ... ."

Gnisseldrix hörte dem Gespräch nicht weiter zu. Seine Gedanken schweiften ab zu dem schweren Geständnis, das er heute Abend machen wollte. Er sah still über die Schar der Gäste hinweg, die alle seine Freunde waren. Was würden sie denken, wenn er ihnen sagte, er wolle für eine zeitlang nach Hause? Verließ er sie? Ließ er sie gar im Stich? Er schüttelte den Kopf: So ein Unsinn, die Geisterinsel war ja nicht aus der Welt, na ja, für manche vielleicht schon; er grinste; und außerdem war er keinen halben Ast in Titania, im Vergleich zu seinem Lebensalter gerade mal einen Wimpernschlag. Sie würden sehr gut eine Weile ohne ihn auskommen. Er nahm sich wahrscheinlich viel zu wichtig. Und der Gedanke, Ker od Talan wiederzusehen, seinen heimatlichen Wald, seine Sippe wurde immer sehnsüchtiger. Sein Blick blieb an Vanyar hängen, dem Handelsmeister, der gerade das Wildschwein drehte. Früher einmal hatten sie viel zusammen gelacht, Späße getrieben und Geschichten erzählt. Und heute? Ja, heute hatten sie zu viel zu tun, zu viel Verantwortung zu tragen und zu viel zu bedenken. Eigentlich erging es Vanyar nicht viel besser als ihm selbst und Gnisseldrix wurde klar, dass er seinen Freund nicht in einer Situation zurücklassen konnte, der er selbst entfliehen wollte. Nein, Vanyar mit den Bahuni allein zu lassen, das kam gar nicht in Frage. Entschlossen schritt der Waldkobold deshalb auf den Waldelfen am Feuer zu.

Einmal mehr versuchte Vanyar sich zu entspannen, während er das Wildschwein über dem Feuer mit Keos Kräutersud übergoss. Die Geschehnisse des Tages jedoch, wollten ihn nicht freigeben. Immer wenn er glaubte, er habe sich hier inmitten seiner Freunde und seiner Familie wenigstens für eine kleine Weile von der Last seines Amtes befreien können, entstanden in seinem Kopf schwere Ketten aus Staub und Papier und zerrten die Gedanken des Handelsmeisters zurück an seinen Schreibtisch. Die vielen Petitionen, Anfragen und Beschwerden, die sich Tag für Tag in seinem Büro ansammelten, lasteten wie schwerer Stein auf seinen Schultern. Selbst hier in seinem Hain, seinem Zuhause, ließ ihn die Pflicht nicht los.

"Vanyar, du musst das Schwein schon drehen", drang es an sein Ohr und so aus seinen Gedanken gerissen, musste er verschämt feststellen, dass er einen Großteil des Sudes in die leere Bauchhöhle des Schweins gegossen hatte, während der Rücken des köstlich zubereiteten Tieres sich zusehends dunkel verfärbte.

Der Waldelf beeilte sich nun, den Rücken des Schweins aus dem Feuer zu drehen und mit Sud etwas abzulöschen. Dann ließ er den Blick über seine und Keos Gäste schweifen. Viele ihrer Freunde waren da und sogar König Oberon war gekommen. Er stand mit Keo, Gnisseldrix, Younani und einem weiteren Kobold zusammen. Alle schienen vergnügt zu sein und redeten eifrig durcheinander. Nur Gnisseldrix sah seltsam gebeugt aus. "Auf ihm lastet die Bürde wohl mindestens ebenso schwer", dachte Vanyar versonnen. Es ist einfach nicht natürlich, sich tagein tagaus mit Papier und Bahuni herumzuschlagen.

Leicht verstimmt fasste der Waldelf nun an den Spieß, an dem das nun fertig gebratene Wildschwein hing und zuckte ob des heißen Metalls mit einem leisen Schmerzensschrei zurück. Ärgerlich betrachtete er die sich nun an seinen Fingern bildenden Brandblasen.

"Ich bin nichts mehr gewohnt", seufzte Vanyar leise, "früher an der Esse hätten mir solche Temperaturen nichts ausgemacht." Und nun? Schon viele Tage war er nicht mehr in seiner Schmiede in Titania gewesen. So hatten sich die Schwielen an den Händen zurück gebildet. Er kam sich selbst fast ein wenig zu dünn vor. Die Zeit ohne Hammer und Amboss, Esse und Tiegel hatten ihre Spuren hinterlassen, das war ihm schmerzlich bewusst geworden. Anfangs hatte er auch hier sein Amt, seine Verpflichtungen und den Mangel an Zeit vorgeschoben. Schließlich jedoch musste er sich vor einigen Tagen eingestehen, dass es das Metall war, das ihn abhielt. Eisenbaumholz gab es in Titania keines. Und die Metalle der Zwerge und Trolle waren zwar edel und stark, erinnerten ihn jedoch viel zu sehr an Gold.

Vanyar schüttelte sich angewidert. Dieses gelbe nutzlose Metall verursachte bei ihm inzwischen Übelkeit und Ekel. Und trotzdem war er jeden Tag aufs Neue gezwungen, sich mit dem "gelben Fluch der Bahuni" zu umgeben und damit umzugehen.

So hatte er begonnen, die Schmiede zu meiden, obwohl viele Werkstücke dort auf ihre Vollendung warteten. Einige seiner Freunde waren gar schon etwas ungeduldig geworden, weil die Esse in Vanyars Schmiede kalt blieb, aber der Waldelf konnte sich zur Zeit einfach nicht überwinden und was ehemals ein Hort der Entspannung gewesen war, erinnerte ihn nun nur noch mehr an die schwere Bürde, die er in Finyens und Oberons Namen seit schon so langer Zeit trug.

Seine langsam entstandene Abneigung gegen das gelbe Metall hatte vor Kurzem auch schon begonnen, sein Verhalten als Handelsmeister zu beeinflussen. Vor einigen Tagen hatte er einem Kauffahrer der Frysen ein Geschäft verweigert. Der Händler wollte eine größere Menge Pfeffer kaufen. Kaufen ... nicht etwa tauschen! Nein, der Fryse vermochte es nicht, sich vom Gold als Zahlungsmittel zu lösen. Und Vanyar seinerseits konnte und wollte von dem gelben Fluch nichts mehr in Händen halten. So war das Geschäft mit dem Handelsmeister gescheitert und einmal mehr hatten die Verwandten von Jalmur den Zuschlag erhalten, da sie Honig und Schwarztrunkbohnen als Tauschobjekt angeboten hatten. Der Frysenhändler hatte ziemlich irritiert dreingeschaut, als man ihm die Entscheidung übermittelte und irgendwo tat er Vanyar leid.

Allein das Wagnis einzugehen und mit den Schiffen während der Regenzeit den Tieflandstreifen zu bezwingen nötigten dem Waldelfen großen Respekt ab. Zudem hatte sich dieses Händlervolk mit ihren großen Schiffen schnell an die Besonderheiten Titanias gewöhnt und sich erstaunlich schnell angepasst. In Gedanken nahm sich der Handelsmeister vor, dem Frysen ein, zwei lukrative Geschäfte vorzuschlagen, um ihn nicht weiter zu verwirren. "Schließlich haben die Naturgeister einen Ruf zu verlieren", sinnierte er seufzend.

"Drehen, Vanyar!" sagte Gnisseldrix, als er neben Vanyar am Feuer auftauchte. Und der Waldelf beeilte sich, den Braten weiter zu drehen. "Na, wie schaut's?" fragte er den Kobold. Der blickte ihn verschmitzt an. "Ich hab eine Idee!" sagte er. Vanyar seufzte müde. "Was denn für eine Idee?" fragte er pflichtschuldig. Koboldideen waren meistens nicht nach seinem Geschmack. "Wir machen Urlaub." antwortete Gnisseldrix und schaute den Waldelfen triumphierend an. Vanyar rümpfte die Nase. "Das ist doch so ein Bahunikram, oder? Laß mich doch wenigstens heute Abend damit in Ruhe." "Aber es ist ein toller Bahunikram. Es bedeutet, nicht mehr in die Amtsstube zu gehen, sondern dahin, wo man gern ist und sich erholen kann. Also," sinnierte der Kobold, "ich könnte mich am besten im großen Wald auf der Dewhani Estrivel erholen, bei meinen Leuten, in meinem Baum. Und natürlich in KerOdTalan auf der Feenkirmes." Er grinste und sah Vanyar wieder an. Dem war der Mund offen stehen geblieben und er schaute seinen Freund an, als sei dieser verrückt geworden. "Kannst du mir mal sagen, wer dann unsere Arbeit machen soll?" er holte Luft und wollte weiter reden, aber Gnisseldrix warf dazwischen: "Ja, kann ich!" "So?" fragte Vanyar, ließ den Bratspieß los und verschränkte die Arme, "Wer denn?" Ja, wer eigentlich? Gnisseldrix hatte nicht darüber nachgedacht, er hatte nur gewollt, dass Vanyar keine Chance hatte, seine Idee zu verwerfen. Panisch hetzten seine Augen über die Gäste. "Younani, zum Beispiel," sagte er schnell, "und Lainam." Ja, das war gut, bloß auch einen Elfen nennen. Zufrieden funkelte er Vanyar an. Der sah hinüber zu den Gästen und dachte nach. Gnisseldrix war erleichtert, dass er nicht sofort widersprochen hatte. "Hhm," machte der Waldelf, "die Idee ist gar nicht so schlecht, wie ich zu Anfang dachte. Aber wenn du zwei neue Handelsmeister vorschlägst, dann werde ich das auch tun. Was hältst du von Cendrasch und Anthardes?" Der Waldkobold dachte nun seinerseits einen Moment nach. "Ja, das finde ich gut. Sollten es nicht die vier gemeinsam machen? Von jedem Volk ein Naturgeist, der je nach Situation und Fähigkeit die Geschäfte regelt." Langsam begann Vanyar zu lächeln. "Ja, das sollten wir Finyen vorschlagen." Er dachte an zu Hause, seinen Wald, sein Heimatdorf, die Geisterinsel. Und er dachte an seine Familie, und dass er vielleicht schon morgen mit ihnen nach Hause reisen könnte. Im Geiste sah der Waldelf sich selbst seine Schmiede neu anfeuern, er hörte das Klingen des Hammers auf dem Amboß, spürte die Hitze der Glut und die Nähe seiner Lieben. Er könnte viel Zeit mit Falk verbringen und abends mit Keo auf der Wurzel vor dem Baum sitzen und mit den Nachbarn ..."

"Oh oh!" riss es ihn aus seinen Gedanken. Er schaute zu dem Spanferkel und sah, wie der kleine Kobold eifrig versuchte den Spieß zu drehen. Mit einem Grinsen griff er zu, als das herumwuchtende Schwein gerade die Kurbel in die Höhe schießen ließ und den Kobold von den Füßen riss. "Das hatte ich ganz vergessen, danke." Sagte er und lachte. "das habe ich gemerkt." antwortete Gnisseldrix und rieb seine verdrehtes Handgelenk. "Also, ich rede jetzt mit Finyen und den anderen. Bis gleich."

"Papa, ist das Schwein endlich fertig? Ich habe Hunger" Falk war von hinten mit seinem Holzteller herangekommen und hatte das knusprige Schwein hungrig fixiert. Der Handelsmeister sah auf und lächelte. "Ja, ich denke das Fleisch ist fertig. Vanyar zog sein Jagdmesser aus der Scheide und schnitt für seinen Sohn ein großes, saftiges Stück Fleisch aus der Seite des Schweins und legte es ihm auf den Teller. "So, hier hast du deine Portion. Wenn du dann noch Hunger hast, komm einfach noch mal vorbei. Nachdem Falk sich in eine Baumkuhle zurückgezogen hatte und begeistert begann, das Stück Fleisch zu verspeisen, erhob der Waldelf seine Stimme: "Das Wildschwein ist nun fertig. Kommt, es ist reichlich da". Keo, die sich zu ihrem Mann gesellt hatte, fügte an:" Wir sind stolz und glücklich, dass so viele unserer Freunde den Weg zu uns gefunden haben, um mit uns zu feiern. Nun esst und trinkt und seid fröhlich. Die Anwesenden klatschten, warfen begehrliche Blicke auf den Braten über dem Feuer und schnupperten den köstlichen Duft. Die Waldelfenfamilie lachte und Vanyar nahm sich ein Messer, um das Wildschwein anzuschneiden. Teller und Besteck wurden gereicht während sich eine kleine Schlange vor dem Kochfeuer bildete.

Es dauerte ein Weile, bis alle Gäste etwas von dem Fleisch hatten, und von den Wildsalaten und vom frischen Brot. Schließlich trat Stille ein, nur unterbrochen von leisen Bekundungen, wie vorzüglich das Essen sei. Besonders die Röstaromen des Fleisches wurden sehr gelobt.
Gnisseldrix setzte sich mit seinem Holzteller zu Finyen del Lian und sagte leise: "Ich muss etwas mit euch bereden, Lady Finyen." Diese hob eine Augenbraue: "Lady Finyen, aha. Es ist wohl was Offizielles?" Der Kobold rutschte ein wenig auf seinem Platz herum. "Ja, genau," sagte er, "Es geht um die Sache mit den Handelsmeistern." "Hhmm." machte Finyen und kaute weiter. "Hat es mit deinem Freund zu tun, der dich heute besucht hat?" Gnisseldrix nickte. "So ist es. Ich will mit ihm nach Hause gehen und Vanyar will mit Keo und Falk nach Hause gehen. Wir wollen keine Handelsmeister mehr sein. Es macht Bahuni aus uns!" Finyen hatte aufgehört zu essen. Ein bisschen wehmütig sah sie den kleinen Kobold an und sagte: "Ja, das kann ich gut verstehen. Auch Oberon hat die Heimat gesucht als er das Regieren müde war. Und sieh ihn dir an," sie wies hinüber zum Feuer, wo Elbenkönig Oberon mit Crysalgira na Halandra und Lirielle scherzte, lachte und vor Glanz sprühte, "er ist wieder ganz Geist und Natur. Er hat seine Nachfolgerin bestimmt, die seinen Platz eingenommen hat, als er ging. Wer soll euren Platz einnehmen?"

"Ohh, da haben wir schon jemanden. Aus jedem Volk soll es einer sein, damit für jeden Bahuni und für jede Situation der richtige Geist da ist. Vanyar und ich haben gedacht, dass Younani, Cendrasch, Anthardes und Lainam das machen könnten." Finyen dachte einen Moment nach und sagte dann: "Ja, das ist eine gute Wahl. Sind sie auch damit einverstanden?" Gnisseldrix nickte eifrig: "Bestimmt!" Die Silberelfe verdrehte die Augen, "Du hat sie also noch nicht gefragt?" Der Waldkobold sah sich hektisch um, "Doch, gleich habe ich sie gefragt." Er winkte Vanyar zu sich herüber und die Lady der Naturgeister sah, wie die beiden ein wenig tuschelten. Der Waldelf nickte ihr zu und sie beobachtete, wie die noch nicht ganz ehemaligen Handelsmeister von Younani zu Anthardes zu Cendrasch zu Lainam gingen und mit ihnen sprachen. Es war jedes Mal dasselbe Bild, das sich von Gespräch zu Gespräch neu abspielte: zuerst interessierte Neugier, dann ungläubiges Staunen und dann eine Mischung aus Stolz und Mißtrauen. Finyen konnte sich ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen. Da lebte man als Naturgeist schon viel länger als die meisten Wesen auf Magira und dann geschah trotzdem fast alles spontan. Versteh' einer die Naturgeister.

Schließlich kamen die sechs nicht mehr und noch nicht Handelsmeister zu ihr herüber und Gnisseldrix verkündete: "Sie sind einverstanden! Es kann losgehen." Finyen stand auf und stellte ihren Teller zur Seite. "Nun denn, gehen wir und verkünden euren Entschluss." Sie trat in die Mitte der Lichtung und bat mit lauter Stimme um Aufmerksamkeit. Die Gespräche verstummten und die Gesichter der Anwesenden wandten sich ihr zu. "Vanyar und Gnisseldrix haben eine Mitteilung zu machen." Sprach sie und sah die beiden auffordernd an.

"Also," begann Gnisseldrix, "Vanyar und ich möchten unseren Posten als Handelsmeister abgeben. Wir bitten euch, Lady Finyen, uns aus diesem Amt zu entlassen." Die Silberelfe nickte. "Wer soll eure Nachfolge antreten?" Vanyar winkte Younani, Cendrasch, Anthardes und Lainam heran, die sich nebeneinander aufstellten. "Unsere Nachfolge antreten sollen Lainam da Sai, Cendrasch Drachenschild, Anthardes Belnan Chiar und Younani." antwortete er. Die Gäste des kleinen Festes sahen die Naturgeister erwartungsvoll an und Finyen sprach wieder: "Aus jedem Volk ist es also einer. Seid ihr, Lainam da Sai, Cendrasch Drachenschild, Anthardes Belnan Chiar und Younani, einverstanden und werdet das Amt der Handelsmeister der Naturgeister in Titania annehmen?"

"Ähemm ..." räusperte sich Anthardes und bevor er etwas fragen konnte platzte Younani heraus: "Was muss man denn da machen?" Vanyar und Gnisseldrix sahen sich an. "Also, du musst mit den Händlern der anderen Völker Preise für ihre Waren ausmachen." sagte Gnisseldrix. "Und du musst organisieren wer wann und wo seine Waren feilbieten darf." antwortete Vanyar. "Du musst überwachen, welche Waren nach Titania gebracht werden dürfen." "Und du musst ihnen die Gesetze der Natur erklären." Die vier werdenden Handelsmeister drucksten ein wenig herum. Das hörte sich ja doch nach einer Menge Arbeit und wenig Spaß an. Gnisseldrix und Vanyar sahen sich gezwungen, ihnen diesen Posten ein bisschen schmackhaft zu machen.

"Ihr kriegt ein tolles Büro und einen Riesenschreibtisch in der Zitadelle!" sagte Gnisseldrix eifrig. Vanyar zog eine Augenbraue hoch als ihn der Kobold mit seinem hölzernen Ellenbogen in die Hüfte stupste. "Achja," begann er, "und ihr kriegt es mit vielen lustigen Bahuni zu tun." "Ihr lernt ganz viel über die anderen Völker Magiras." sprach der Waldelf weiter. "Und ihr könnt auf Schiffen fahren und dürft auf dem Markt alles probieren." beendete Gnisseldrix. Diese Beschreibungen hatten ihre Nachfolger schon etwas mehr begeistert und während Finyen sich den künftigen Handelsmeistern zuwandte tippte Vanyar dem Waldkobold auf die Schulter und fragte leise: "Ein tolles Büro und einen Riesenschreibtisch, ja?" "Genau." gab dieser fröhlich zurück und Vanyar dachte daran wie viel Arbeit auf einen Riesenschreibtisch passte. Noch einmal wandte er sich seinem Freund zu und flüsterte: "Und du hast auf dem Markt alles probiert?" Als dieser ihn mit einem breiten Lächeln ansah und sagte: "Ja, hab ich gemacht!" brachen beide in lautes Lachen aus, das sie schnell zu einem wilden Kichern dämpften als die gesamt Gästeschar sie überrascht und tadelnd ansah.

Finyen fragte nun noch einmal die künftigen Handelsmeister: "Werdet ihr also dieses verantwortungsvolle Amt annehmen?" Der Bibliothekskobold, der Zwerg, der Steppenelf und die Dryade nickten bedeutungsvoll mit dem Kopf und sagten zusammen: "Ja, das werden wir." "Gut," antwortete Finyen del Lian, "dann ernenne ich euch hiermit zu Handelsmeistern der Naturgeister in Titania. Morgen können euch Vanyar und Gnisseldrix die Geschäfte übergeben und ich werde den Rat der Stadt informieren. Herzlichen Glückwunsch."

Applaus der Gäste des kleinen Waldfestes brandete auf und den neuen Handelsmeistern wurde gratuliert, zugeprostet und sie wurden umarmt. Falk kam auf seinen Vater zu und fragte: "He, Papa, kommst du dann morgen mit uns nach Hause?" und der Waldelf nickte und sagte: "Ja, Falk, morgen gehen wir zusammen nach Hause." Dann gingen die beiden zu Keo hinüber, die ihren Mann freudig umarmte und begannen die Heimreise zu planen.

Oberon ging indessen bedeutsam und mit einem verschmitzten Lächeln auf die neuen Würdenträger zu und sprach: "Wahrlich, wahrlich, was für eine prächtige Wahl die Naturgeister da getroffen haben. Und für jeden von euch gibt es passende Aufgaben zu erfüllen. "Der Lainam darf den ganzen Tag laufen, von der Feenpoststelle in die Koboldregistratur, von der Zwergenzollstation in die Elfenkreditanstalt. Younani macht die Buchhaltung, Cendrasch überwacht die Unterweltgeschäfte und Anthardes ist für den Verkehr mit den Handelsdelegationen zuständig." Stille folgte, die anwesenden Naturgeister blickten Oberon verständnislos an. Bis plötzlich ein Glöckchenkichern zu einem prustenden Lachen wurde und Moosfax, sich den Bauch haltend gackernd umfiel. Und plötzlich brach Lachen aus allen Kehlen und hallte weit durch das Wäldchen und in die stille Stadt hinein. In einem der der Gästehäuser schloss ein Händler der Beltyren gestört das Fenster und murmelte vor sich hin: "Was ist das denn nun wieder für ein Krach." Und Marifel, Hauskobold dieser Unterkunft antwortete leise vom Dachbalken herunter: "Das sind Naturgeister. Die sind so."

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