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Anmerkung: Diese Geschichte spielt zu einer Zeit, als es noch Handelsbeziehungen mit den Perm gab.

"Gutes" Personal

Vanyar saß vor einem wuchtigen Schreibtisch in seinem Büro. Es war ein großes Büro. Genaugenommen sogar das größte Büro in der Handelskammer von Titania. Eine riesige Fensterwand bot einen herrlichen Ausblick über die ganze Stadt. Der einzige Nachteil an dem großen Büro war die ebenso große Menge Arbeit, die jeden Tag dort auf ihn wartete. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Dokumente, Artefakte und nicht näher bestimmbare Platzhalter aus allen möglichen und unmöglichen Materialien. Ein Turm von Papieren ragte in der einen Ecke auf, und in einer anderen stand eine kleine Ansammlung von Flaschen, in denen immer wieder kleine Luftblasen aufstiegen: Neuigkeiten vom Wasservolk. Ein argloser Besucher hätte die überall auf dem Schreibtisch verstreuten Steine, Schnüre und Blätter möglicherweise für hübsche Dekoration gehalten. Vanyar jedoch war sich schmerzlich bewußt, daß es sich bei diesem anthropologisch wertvollen Sammelsurium von Gegenständen lediglich um noch mehr knifflige Arbeit für ihn handelte, die er möglichst schon gestern hätte erledigen müssen. Ein kurzer Blick auf den Spiegel zu seiner rechten und der hochgewachsene Waldelf stieß einen schweren Seufzer aus. Im Spiegel sah er die Sonnenuhr, die auf dem kleinen Balkon vor seinem Büro stand. Die Sonnenuhr hatte für heute ihre Arbeit beendet und das Licht des Mondes war glücklicherweise nicht stark genug, um diese Aufgabe fortzusetzen. Insgesamt bewertete Vanyar das als gutes Zeichen. Nach der Anzeige der Uhr, beziehungsweise dem Fehlen derselben, durfte er endlich, ohne schlechtes Gewissen, nach einem anstrengenden Tag nach Hause gehen.

Zuletzt war heute der Botschafter der Perm bei ihm gewesen. An sich mochte er die Perm. Ihre echsenhafte Gestalt war imposant, ja fast schon majestätisch. Jedenfalls solange sie nicht versuchten, ihren ausladenden Körper in einen Stuhl zu quetschen, der ganz offensichtlich nicht für ihre Spezies angefertigt worden war. Nachdem der Botschafter schon bei seinem Eintritt den kunstvoll geschnitzten, clanthonischen Schirmständer neben der Tür mit einem Schwung seines breiten Echsenschwanzes weggefegt hatte - wofür er sich tausendmal entschuldigte- war der Stuhl ein weiteres Opfer der diplomatischen Beziehung zwischen ihren beiden Völkern geworden. Als Konsequenz hatte Vanyar sich vorgenommen, bei der nächsten Clanssitzung eine Eingabe für neues Mobiliar in der Handelskammer, im besonderen für sein Büro, zu machen.

Neben einem wirklich exquisiten Likör als Gastgeschenk hatte der Botschafter leider auch einen ganzen Stapel Papiere mitgebracht. Anfragen von Perm zu den Örtlichkeiten ihrer Handelsvertretung, diplomatische Briefe von wichtigen Persönlichkeiten, die irgendetwas wollten und jede Menge Formulare, die alle einer offiziellen Antwort, oder zumindest einer Unterschrift bedurften. Er sah sich bereits morgen wieder einmal den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen. Und dann hatte er auch noch einen Termin mit diesem hartnäckigen Abgesandten der Wali, der ihn schon seit Wochen belagerte, weil er ganz dringend über die angewiesenen Schiffsrouten mit ihm sprechen wollte. Als ob er eine Ahnung von Schiffen hätte. Er war ein Waldelf kein Navigator. Pah!

"Nein," er schüttelte entschlossen den Kopf. "So kann das nicht weitergehen. Wir brauchen dringend mehr Personal. Gnisseldrix und ich arbeiten ja schon wie ranabarische Sänftenträger, aber alles können wir schließlich auch nicht alleine schaffen." Ganz davon abgesehen, daß er schon seit mindestens drei Tagen nicht mehr im Wald gewesen war. Für einen Waldelfen ein untragbarer Zustand!
Gleich morgen früh würde er einen Boten zu Finyen schicken, und verlangen… nein, streichen wir das,… anfragen, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, das Personal in der Handelskammer aufzustocken.

Zumindest in der Theorie von einem Teil seiner Sorgen befreit, atmete Vanyar tief durch und machte sich auf den Weg in seinen wohlverdienten Feierabend.



Gemäß seinem Entschluß vom vorherigen Abend schickte Vanyar am nächsten Morgen als erstes einen Boten zu Finyen, der Vertreterin aller Naturgeister. Kurze Zeit später stand der Bote, etwas außer Atem, wieder vor ihm, und hielt ihm einen Zettel entgegen.
"Von … *keuch*… Finyen …*keuch*".
"Danke." Vanyar zog die Augenbrauen hoch und betrachtete den Boten nachdenklich.
"Hm," überlegte er, sehr mit sich zufrieden "war doch eine gute Idee diesen jungen Steppenelfen als Boten zu engagieren."

Dann wandte er sich der Nachricht zu, die Finyens Siegel trug. Er brach das Siegel auf und las die Antwort auf seine höflich formulierte Frage nach mehr Personal, die lediglich aus einem einzigen Satz bestand:
"Ich kümmere mich drum."

Vanyar schnaubte kurz. Das war mal wieder typisch Finyen : kurz, knapp, kryptisch. Na ja, dann blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als abzuwarten…



Der große Magier Xaraxas stand auf einer steilen Klippe hoch über der wütenden See. Blitze durchzuckten den tiefschwarzen Himmel und tauchten das wutverzerrte Gesicht des Magiers für Sekunden in einem gespenstischen Licht. Einen Schritt vor ihm lag Gwynara auf ihren Knien. Gwynara, Tochter des Königs Faril, der Xaraxas für immer aus seinem Königreich verbannt hatte. Und das nur, weil der König herausgefunden hatte, daß sein Hofmagier und königlicher Berater Vorbereitungen getroffen hatte, einen Pakt mit dem "Ganz ganz Bösen" einzugehen, um dann letztendlich König an Stelle des Königs zu werden. Daraufhin hatte ihn der König umgehend aus seinem Land geschmissen und Xaraxas schwor fürchterliche Rache. Der erste Schritt sein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden, war die Entführung der schönen und einzigen Tochter Farils gewesen - Gwynara. Schon immer ein Freund von leicht theatralischen Auftritten sah nun seine weitere Planung vor, das hübsche Mädchen vor dem gewaltigen Hintergrund des nächtlichen Infernos, über die gigantischen Klippen in den Tod zu stürzen.

Als die Entführung bekannt geworden war hatten sich in kürzester Zeit mehrere unverheiratete Könisgssöhne bereit gefunden, die Prinzessin zu befreien, sie zu heiraten, die Hälfte des Königreiches zu bekommen, und anschließend bis an ihr Lebensende glücklich dort zu leben. Das einzige Problem war nur, daß sich keiner der jugendlichen Helden zur Zeit auch nur in der Nähe der bedrohlichen Klippen befand und die Chancen die Prinzessin zu retten schrumpften mit jedem Wort des ausschweifend angelegten Racheepos des Magiers:

"Dein Vater hat mich vor allen Leuten gedemütigt. Und jetzt wird er dafür büßen müssen! Er wird erkennen, was es für ein Fehler war, mich zu seinem Feind zu machen !" zischte er Gwynara entgegen. Als gut erzogene Prinzessin war sie der Situation angemessen blaß und zitterte vor Angst am ganzen Körper. Xaraxas erzählte derweil weiter : "Ich bin ein Genie ! Haha! Dein Vater hat das nie verstanden. Niemand hat das je verstanden. Euer Geist ist zu klein, um meine Größe zu erkennen!"

"Klar," dachte Younani. "das sagen sie alle."

Nach fünf weiteren, extrem langweiligen Minuten, war Xaraxas endlich fertig mit seiner Tirade und Gwynara mit ihren Nerven. Der Magier zerrte die Prinzessin mit einer, wie er hoffte, schauerlichen Lache vorwärts und stieß sie über die Klippen.
"Hahahahahaaaaaaaaa!!!" Er legte seinen Kopf zurück und lachte dem Blitz entgegen, der sich für wenige Sekunden in dem irren Flackern von Xaraxas Augen wiederspiegelte.

"Ahhhhhhhhhhhhhhh!" konnte man Gwynaras Schrei immer leiser werden hören. Darauf hatte Younani nur gewartet. Nicht darauf, daß die arme Prinzessin nun endlich ihr kaltes Grab in der wütend brausenden See finden würde, sondern darauf, daß sich endlich ein möglichst dramatischer Zeitpunkt zum Eingreifen ergeben würde.

Verwirrt drehte sich der große Magier auf dem Absatz um. Mit einem ohrenbetäubenden Gebrüll erhob sich hinter ihm plötzlich ein riesiger goldener Drache in die Lüfte und stürzte der Prinzessin hinterher.

Gwynara sah das schimmernde Monster, das es offensichtlich auf sie abgesehen hatte und wußte für einen Moment nicht, vor wem sie jetzt mehr Angst haben sollte. "Verflixt," dachte sie im Fallen. "was soll denn das jetzt? So geht das doch nicht. Ich sollte doch von einem Königssohn gerettet werden. Nein, nein, nein, ich will nicht als Drachenfutter enden. Das passiert doch in einer ganz anderen Geschichte!"

Gleich darauf wurde ihr Fall von mächtigen Drachenklauen aufgehalten. Gwynara überlegte noch kurz, ob es vielleicht Sinn machen würde, sich gegen das Monster zu wehren, beschloß dann aber, daß dieses ganze Hin und Her viel zu anstrengend für den Geist einer zarten Prinzessin war und wurde erst einmal bewußtlos.

Younani grinste, als der schmale Körper der Prinzessin auf einmal schlaff in ihren Klauen hing. "Prinzessinen !" dachte sie amüsiert. "Vermutlich auch noch 'ne Jungfrau." Das Drachengrinsen wurde immer breiter, was den Effekt hatte, das der goldene Drache jetzt den Eindruck machte, als freue er sich diebisch über die kleine Vorspeise, die er da durch die Lüfte trug.



Kurze Zeit später setzte Younani die Prinzessin vorsichtig auf einer Lichtung ab. Wenn sie sich nicht sehr irrte, müßte eigentlich dieser eine nette Könisgssohn mit den hübschen blauen Augen und dem tollen schwarzen Mantel bald hier vorbeikommen. Younani grinste. Wirklich außerordentlich hübsche blaue Augen, nur leider nicht besonders helle. War da gerade ein Geräusch gewesen? Sollte er das etwa schon sein ? Hm, dann hatte er sich aber wirklich beeilt.

"Younani!"

Younanis Gesicht war ein einziges großes Fragezeichen. Wieso kannte der Königssohn ihren Namen? Sie war doch noch nie zuvor in dieser Geschichte gewesen.

"Younaaaaaaniiiii!"

Hm, nein, nach Königssohn klang das auch nicht gerade. Die Stimme war definitiv weiblich und kam ihr auch irgendwie bekannt vor.

Langsam dämmerte es ihr. Ups, da war anscheinend jemand in der Bibliothek, der sie suchte. Schwungvoll steckte sie ihren Kopf aus dem Buch heraus, in das sie bis gerade eben eingetaucht gewesen war und stieß gegen etwas Hartes. Gegen etwas Hartes, das schnell wegsprang und erschrocken aufschrie.

"Himmel !" Finyen drehte sich sichtlich überrascht um. Dann erkannte sie, was gerade recht unsanft gegen ihren Hinterkopf geprallt war.

"Große Güte Younani. Hast Du mir einen Schreck eingejagt!"

"'Tschuldigung." murmelte Younani, sehr bemüht angemessen betroffen zu wirken, wobei sie sich jedoch durch das breite Grinsen auf ihrem Gesicht verriet.

"Hallo Finyen."

"Hallo Younani." erwiederte Finyen inzwischen wieder gefasster und zog mit einer raschen Handbewegung ihre Weste zurecht. "Wie geht es Dir?"

Uh oh. "Gut?"antwortete Younani zögerlich und etwas mißtrauisch.

"Und? Wie gefällt es Dir so in der Bibliothek?" fragte Finyen, offensichtlich bemüht ein Gespräch zu beginnen. Eine Tatsachen, die Younani noch mißtrauischer machte, da Finyen gewöhnlich einen großen Bogen um Situationen machte, in denen freundlich, aber nichtssagend geplaudert wurde.

"Auch gut. Danke. Warum?"

"Ähm, ich habe mich gefragt, ob du nicht mal Lust hättest, mal etwas anderes zu sehen?"

"Klar, immer."

Erstaunt blickte Finyen die kleine Gestalt an, die sich so inzwischen fast vollständig aus dem Buch heraus materialisiert hatte. So leicht hatte sie sich das nicht vorgestellt.

"Schön. Vanyar braucht nämlich dringend jemanden, der ihm in der Handelskammer so ein wenig aushilft. Vor allem mit dem ganzen Papierkram. Der wächst ihm langsam über den Kopf. Und da hatte ich gedacht, da du doch schließlich ein Bücherkobold bist…"

"Bibliothekskobold !" berichtigte Younani.

"Was ?"

"Bibliothekskobold, " erklärte Younani noch einmal mit stolz geschwellter Brust. "Ich bin ein Bibliothekskobold. Der einzige Bibliothekskobold in Titania."

"Ach so ja, natürlich. Also, da du schließlich ein Bibliothekskobold bist, und gut mit allen Arten von Büchern und Papieren und so weiter umgehen kannst, habe ich mir gedacht, ob du nicht vielleicht Lust hättest, Vanyar und Gnisseldrix ein wenig unter die Arme zu greifen."

Younani schaute sie verdutzt an. "Wieso sollte ich Vanyar und Gnisseldrix unter die Arme greifen? Soll ich sie etwa hochheben? Wäre es da nicht sinnvoller, vielleicht bei einem Troll nachzufragen?"

"Häh?" jetzt war Finyen an der Reihe verwirrt zu gucken. Glücklicherweise fing sie sich aber relativ schnell wieder. "Ach so, nein, nein. Ich meinte, ob du ihnen nicht vielleicht ein wenig bei den ganzen Schreibarbeiten und der Ablage und so weiter helfen könntest."

Obwohl Younani keine Ahnung hatte, wer oder was eine Ablage sein mochte, hörte sich Finyens Vorschlag unheimlich interessant an. Sie mochte Vanyar und von Gnisseldrix konnte sie bestimmt noch viel lernen.

"Es wäre mir eine Ehre." erklärte sie feierlich. "Wann soll ich anfangen?"
"Am Besten gleich."

"Ok. Bis später dann mal." Damit drehte sich Younani um und rannte aus dem Raum. Zurück blieb eine etwas sprachlose, aber doch sehr mit sich zufriedene Finyen.



Die Tür zu Vanyars Büro wurde mit solcher Wucht aufgestoßen, daß der linke Türflügel den kunstvoll geschnitzten clanthonischen Schirmständer umwarf. Ein kleines, blaues Etwas stürmte in gerader Linie auf den Schreibtisch zu und kam mit einem letzten Windstoß auf dem Schreibtisch zu stehen, wobei die zuvor sorgfältig gestapelte Papiere großzügig im Raum verteilt wurden.

Mit fliegenden Armen versuchte Vanyar so viele Papiere wie möglich zu retten.
"Neeeeeiiiiin!" rief er verzweifelt. Er hatte es doch gerade eben geschafft, das ganze Chaos auf seinem Schreibtisch einigermaßen zu organisieren. Jetzt würde er noch einmal ein paar Stunden mit der gleichen nervtötenden Arbeit verbringen dürfen, und dabei mußte er doch gleich zu dem Treffen mit den Abgesandten des Wasservolkes. Verärgert blickte er auf den Auslöser des ganzen Tumults. Sein Gesichtsausdruck wechselte in sekundenschnelle von ärgerlich zu ungläubig. Mitten auf seinem Schreibtisch stand ein kleines, blaues Wesen, vielleicht so groß wie sein Unterarm. Es hatte lange flauschige Ohren und überdimensional große Füße. Etwa wie eine Mischung aus Känguruh und Kaninchen. Mit einer Brille auf der Stupsnase und einem Bleistift, der sich auf wundersame Weise neben dem rechten Ohr festhielt. Jetzt breitete dieses Wesen seine Arme aus, grinste viel zu breit für sein knautschiges Gesicht und brüllte so laut es konnte:

"TADAAAA !!! Da bin ich!"

Vanyar fiel auf seinen Stuhl zurück und sagte erst einmal gar nichts. Er öffnete ein paar Mal den Mund, schloß ihn aber immer gleich wieder ohne etwas gesagt zu haben. Endlich hoppelte das kleine Wesen näher, zupfte vorsichtig an einem Ärmel von Vanyars Hemd und fragte besorgt:
"He, Vanyar. Geht es Dir gut ? Du siehst so blaß aus."

Soweit, so gut. Zwar hatte Vanyar ein solches Wesen noch nie gesehen, aber außer einer Gefahr für Schirmständer und Papierstapel zu sein, schien es ganz freundlich.

"Ähhm ... Ja danke, mir geht es gut. Ähhm." Vanyar versuchte sich möglichst schnell auf eine professionellen Ebene zu retten. "Ähm, ja, danke der Nachfrage. Wie kann ich Euch weiterhelfen?" fragte er höflich.

"Wie, weiterhelfen?" das kleine blaue Wesen legte die Stirn in tiefe Falten. "Ich denke, ich soll hier helfen?"

"Ach ja? Ähm. Das ist ja sehr schön." Das würde doch am Ende nicht die Aushilfe sein, um die er Finyen gebeten hatte ? Wenn doch, dann würde er mal ein ernstes Wort mit der Silberelfe sprechen müssen. "Tja, und wer bist du?"

Das Wesen schaute etwas verdutzt. Dann ging ihm offensichtlich ein Licht auf. Es schlug sich mit einer kleinen blauen Pfote an die Stirn und lachte:
"Ach so, ja, richtig."

Ein kurzer Lichtblitz und vor ihm stand unverkennbar die kleine Gestalt des einzigen Bibliothekskobolds von Titania, der Vanyar jetzt sichtlich gut gelaunt angrinste.

"'Tschuldigung, dachte, so ginge es schneller. Von wegen den größeren Füßen und so."

Vanyar seufzte. Das erklärte einiges. Zwar konnte der Bibliothekskobold nicht wirklich eine andere Gestalt annehmen, aber er konnte eine beliebige Illusion erschaffen, was manchmal noch verwirrender war. Denn wer war schon darauf gefaßt mitten in einer angeregten Diskussion plötzlich einem angriffslustig grollendem Ork gegenüber zu stehen, der einem gerade bis zum Knie ging? Das war nämlich das Problem bei Younanis Talent. Sie konnte die Leute zwar sehen lassen, was sie wollte, aber sie konnte die Illusion nicht größer machen, als sie es selber in Wirklichkeit war. Allerdings funktionierten ihre Illusionen oft in einem geradezu unheimlichen Maße, da sie selbst fest von ihren Fähigkeiten überzeugt war.

"Hallo Younani. Was führt Dich hierher?" fragte Vanyar, obwohl ihm bereits schwante, warum der Kobold hier war.

"Finyen hat gesagt ihr braucht jemanden, der euch mit Papier hilft und Sachen weglegt."

"Wie bitte?"

"Ja, Finyen hat gesagt ihr habt zuviel Papier und irgendwas soll … ähh, wie war das noch … ach ja, abgelegt werden."

Vanyars Befürchtungen hatten sich bestätigt. Er seufzte noch einmal schwer. Na ja, vielleicht konnte der kleine Kobold ja wirklich eine Hilfe sein. Sie brachte auf jeden Fall eine gesunde Portion Enthusiasmus mit und bemühte sich normalerweise immer sehr. Viel schief gehen konnte ja schließlich nicht. Auf diese Weise versuchte er jedenfalls die Stimme in seinem Inneren zu beschwichtigen, die nicht wußte, ob sie verzweifelt schreien oder bei so viel Ignoranz lieber hysterisch kichernd zusammenbrechen sollte.

"Ah ja, ich verstehe. Nun, Younani. Ich finde es nett von dir, daß du uns hier ein bißchen Arbeit abnehmen willst und ich habe auch gleich etwas für dich zu tun." Younani strahlte ihn erwartungsvoll an.

"Könntest Du bitte dieses Chaos aufräumen? Damit würdest Du mir sehr helfen. "Damit deutete er auf die Papiere, Häute, Schnüre, und anderen Materialien, die in einem großzügigen Radius um den Schreibtisch herum verteilt waren. "Ich muß jetzt zu einem Geschäftsessen mit einer Abordnung vom Wasservolk. In ungefähr zwei Stunden werde ich wohl wieder hier sein. Wenn du etwas brauchst, dann sage einfach unten am Empfang Bescheid. Dort sitzt heute Pietri. Der wird dir bestimmt weiterhelfen könnnen."

Damit verschwand Vanyar und überließ das Wohl seines Büros einem überaus beflissenem Bibliothekskobold.



Zwei Stunden später erreichte ein ziemlich geschaffter aber gut gesättigter Vanyar die Handelskammer. Der Silberelf am Empfang grüßte ihn:
"Hallo Vanyar. Na, wie war das Essen ?"

"Hervorragend, wie immer. Dieses neue 'Stardust', das am Marktplatz aufgemacht hat ist einfach prima. Ich glaube, das wird ab heute meine Stammkneipe."
Pietri grinste wissend. Er selber war bereits einige Male da gewesen und war jedes Mal aufs neue begeistert. Es gab einfach keine besseren Toasties in ganz Titania!

"Ach, da fällt mir ein, war unser Neuzugang eigentlich mal bei dir, während ich weg war?" fragte Vanyar.

"Unser Neuzugang?"

"Na ja, Finyen hatte doch Younani rübergeschickt, damit sie uns hier ein bißchen hilft. Und ich hatte ihr gesagt, wenn sie irgendetwas braucht soll sie sich hier unten melden."

"Ach so. Das erklärt auch dieses komische blaue Etwas, das heute morgen hier durch die Halle gestürmt ist."

"Genau." meinte Vanyar. "Das war sie."

"Nein." der Silberelf schüttelte seinen Kopf. "Ich habe nichts von ihr gehört oder gesehen."

"Hm. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist." brummelte Vanyar. Mit einem Kopfnicken dankte er Pietri für die Auskunft und ging weiter bis zu seinem Büro. Er öffnete die Tür -ohne den kunstvoll geschnitzten clanthonischen Schirmständer auch nur zu berühren- und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Sein Mund klappte auf. Und wieder zu. Und wieder auf.

"OH NEIN. BITTE NICHT !"

Der Boden war frei von allen Papieren, der Schreibtisch seltsamerweise auch. Jedenfalls so gut wie. Nur in der Mitte des Tisches türmte sich ein bedenklich schwankender, beinahe elfenhoher Stapel von säuberlich übereinandergelegten Papieren, Schiefertafeln, Holzkistchen, Steinen und Flaschen, zusammengehalten von Häuten, Blättern und Schnüren. Ganz oben auf dem Stapel thronte in luftiger Höhe ein kleiner Kobold auf der letzten Flaschenpost des Wasservolkes und grinste ihn erwartungsvoll an.

Vanyar fiel schwer in seinen Stuhl und versuchte die Informationen, die auf seinen Netzhäuten aufprallten, in seinem ungläubigem Gehirn zu verarbeiten.
"Wa ... wa ... was? Wi ... wi.. wie ? Wieso ?" krächzte er schließlich.

Younani legte ihre Stirn in Falten. "Du hast doch gesagt, ich soll aufräumen. Na ja, ist doch wunderbar aufgeräumt, oder ? Kein einziges Blatt mehr auf dem Boden." informierte sie den Waldelfen stolz und hüpfte auf den Schreibtisch hinunter. Sie schlenderte auf Vanyar zu, der sein Gesicht in den Händen vergraben hatte und sich bemühte tief und regelmäßig zu atmen. Aus... und wieder ein... und wieder aus.

Sie blieb am Rande des Schreibtischs stehen und fragte eifrig: "Und ? Was soll ich jetzt machen?"

Der Kopf des Waldelfen ruckte erschrocken hoch. NOCH MEHR MACHEN ?!? Bitte nicht !!! Die Stimme in seinem Inneren zitterte vor Furcht. Seiner Besorgnis Ausdruck geben konnte er allerdings nicht, da ihn der kleine Kobold mit seinen großen, treuen Augen erwartungsvoll anschaute. Also seufzte er noch einmal tief und bemühte das Lächeln auf seinem Gesicht nicht allzu gezwungen aussehen zu lassen.

"Nun Younani. Ich hätte da eine Idee. Zwar habe ich jetzt hier erst einmal nichts mehr, wobei Du mir direkt helfen könntest, aber geh doch mal rüber zu Gnisseldrix. Sie kann Dir bestimmt noch manches über unsere Arbeit hier in der Handelskammer erzählen und wahrscheinlich hat sie auch noch ganz viele Dinge, bei denen Du ihr helfen könntest. Was hältst Du davon?"

Der kleine Kobold hüpfte vor Freude auf und ab: "Gnisseldrix helfen? Oh super, klasse. Bin schon unterwegs!" Ein kurzer Lichtblitz und Vanyar sah gerade noch die goldenen Troddeln eines fliegenden Teppichs um die Ecke verschwinden.
"Warte," rief er dem davon rasenden Kobold-Teppich schwach hinterher, "ich habe Dir doch noch gar nicht gesagt, wo sie ist!"

Aber es war zu spät. Younani war bereits außer Hörweite. Vanyar hob resignierend seine breiten Schultern und schüttelte den Kopf.

"Vielleicht kommt Gnisseldrix besser mit ihr zurecht. Schließlich ist sie selber ein Kobold," dachte Vanyar zuletzt, bevor er sich der statisch schier unmöglichen Konstruktion auf seinem Schreibtisch zuwandte und sich todesmutig daran begab wieder ein wenig Ordnung in Younanis eigene Version von einem aufgeräumten Schreibtisch zu bringen.

Younani
2004