Naturgeist

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Opfer eines langen Winters
Eine Decke aus Schnee, die den Boden bedeckt, ihn vor I rast bewahrt, die Pflanzen wie ein Mantel umhüllt und umsorgt. Tiere, die Winterschlaf halten oder von ihren Vorräten zehren, Spiele im Schnee und das Funkeln des Eises. Eine weiße Landschaft wie aus Zuckerguss.

So war ich Winter gewöhnt.

Doch hier im Land jenseits der Geisterinsel, jenseits der Zauber der Naturgeister, war sogar der Winter grausamer. Ich wusste aus meiner Zeit unter Menschen von harten Wintern, doch nie hatte ich so etwas erlebt. Hier hatte der graue Schnee, der nur spärlich lag, nichts von Zuckerguss, er glich einem abgenutzten Leichentuch, welches über eine sterbende Landschaft geworfen wurde und ihr schmerzverzerrtes Antlitz verhüllt. Unter meinen Schritten knirschte der gefrorene Boden wie Kiesel, und das braune, tote Gras zersprang bei jeder Berührung. Auch die Bäume hoben ihre sterbenden Äste wie zum letzten Gebet in den von dunklen Wolken verhangenen Himmel, bevor auch sie erfroren wie ihre Bewohner.

Oberon selbst, unser Herrscher, hatte mich entsandt, ihm alsbald zu berichten, was es auf sich hat mit dem ewigen Winter, der ausgebrochen sein soll in den Reichen der Menschen. Er wusste, dass ein langer Winter viel Elend über die Menschen, denen es oft ein wenig an Umsicht mangelt, bringen kann. Er wusste, dass viele Menschen sterben, wenn ein Winter hart wird, und dass auch die Tiere darunter leiden. Ich sollte für ihn in der Gestalt eines Menschen herausfinden, wie der Winter verläuft in den anderen Ländern. So verließ ich die Geisterinsel und landete an der Küste der Menschenlande Ich war unter den Menschen aufgewachsen und kannte das Leben außerhalb der Zauberwälder. Deshalb hatte Oberon mich mit dieser Aufgabe betraut, doch auf das, was mich hier erwartete, war ich nicht gefasst gewesen.

Jetzt im Frühjahr, wenn eigentlich die Tiere erwachen und die Menschen mit ihrer Aussaat beginnen sollten, jetzt lag noch immer die klirrende Kälte dieses unnatürlichen Winters über dem Land. Ich erinnerte mich an meine Kindheit, sah hungernde Kinder und hungrige Wolfsrudel, die um die Häuser strichen. Mein Blick wanderte von der Anhöhe, auf der ich mich befand, über ein Tal. Der Bach, der dort verlief, war bis auf den Grund gefroren, alles Leben aus ihm verschwunden. Trauerweiden, sich windend in stiller Agonie, säumten seinen Weg. Der Wind, der mir von dort entgegenstrich, stach mir ins Gesicht wie ein Schwerthieb. Ich musste meinen Blick abwenden.

Dabei fiel mein Blick zum erstenmal auf die Gestalt, die sich mir langsam näherte.

Eine Wölfin war es, die sich seit Minuten anschlich. Sie kroch geduckt den Hang, auf dem ich stand, hinauf, verharrte bei jeder meiner Bewegungen kurz und kroch weiter, sobald ich stillstand. Es gab keinen anderen Weg hinab als den, den sie nahm, und so blieb mir nichts als sie zu erwarten. Sie war nicht sehr geschickt im Anschleichen, zu sehr trieb sie ihre Verzweiflung, zu sehr ihr Hunger. Auch jetzt duckte sie sich zwischen die spärlichen, gefrorenen Grashalme, uni meinem Blick zu entgehen. Ein Bild des Elends bot sie, das Fell struppig und ohne Glanz, abgemagert und in den Augen nur Gier. Doch als unsere Blicke sich trafen und sie wusste, ich hatte sie bemerkt, erhob sie sich, fast stolz, bereit, um ihre Nahrung zu kämpfen.

Sie stand weniger als zehn Schritt von mir entfernt, und ihre mageren Muskeln spannten sich unter dem Fell zum Sprung Ihr Atem, der in geisterhaften Nebelschwaden dem Maul entsprang, wurde schneller, schon wollte sie sich auf mich stürzen, als ich versuchte in ihren Geist einzudringen. Sanft tastete ich mich durch ihren Geist ich versuchte, ihr den Fresstrieb zu nehmen, doch eine solch verzweifelte Gegenwehr wie bei ihr hatte ich noch bei keinem Tier gespürt; so stark war sie, dass mich die körperliche Anstrengung in die Knie gehen ließ. Doch auch die Wölfin war, überrascht durch das Aufblitzen eines fremden Bewusstseins in ihrem Geist, zurückgeschreckt. In mir wuchs langsam die Furcht. Ich hatte noch nie ein Tier bekämpft, hatte stets meine Magie wirken lassen können, doch diese Wölfin wusste wohl, wenn sie mich nicht haben konnte, würde sie selbst sterben. Ich riss meine Waffe aus der Scheide und erhob mich. Die gläserne Klinge funkelte nicht wie sonst im gebrochenen Sonnenlicht, sie lag grau und tot, so wie die Landschaft, in meiner Hand. Der Griff der Waffe war kalt wie Eis, und seine Berührung schmerzte selbst durch meinen Handschuh hindurch. Die Wölfin hatte sich mir wieder genähert, zweifelsohne roch sie meine Angst. Sie stand erneut tief geduckt vor mir und war zum Sprung bereit. Mein Rapier zuckte herab, als sie, viel schneller als ich ihrer mageren Gestalt zugetraut hätte, in einem Satz heran 'war und ihre Zähne in meine Seite grub. Ihr Biss durchdrang meinen Mantel und sogar das Lederwams, das ich darunter trug. Ich spürte, wie etwas Warmes an meiner Seite hinablief. Mein Hieb hatte sie getroffen, doch sie war mir schon so nah, dass der Schlag all seine Kraft verloren hatte und nur ein kleiner Schnitt auf ihrem Rücken klaffte. Aber auch ihr schienen die Kräfte zu schwinden, und so konnte ich mich zur Seite rollen und dem Griff ihrer Zähne entgehen. Ich riss noch auf den Knien meint Klinge empor, keinen Moment zu früh, denn schon spürte ich den heißen Atem der Wölfin im Gesicht Meine rechte Hand klammerte sch um den Griff meines Rapiers, das ich ihr entgegenhielt, mit der Linken bedeckte ich mein Gesicht zum Schutz Fin Stoß ging durch meinen rechten Arm, ein Stoß, der mich aus dem Gleichgewicht brachte und mich taumeln ließ. Die Waffe wurde mir aus der Hand gerissen, und ich bedeckte meinen Kopf mit beiden Händen. Ich erwartete den Schmerz Ihres Bisses, zumindest die Hitze ihres Atems zu spüren. Ihren Atem wenigstens zu hören, doch es blieb still.

Zögernd wandte ich mich um, und ich sah sie.

Einen Schritt lag sie von mir entfernt, alle Viere von sich gestreckt, auf der Seite. Der Griff meiner Waffe steckte ihr, von ihrer eigenen Kraft hineingetrieben, im Hals; die Klinge ragte blutig aus ihrem Nacken. Das Blut, das langsam aus der Wunde sickerte und eine kleine Lache bildete, kam mir unwirklich bunt vor in dieser grauen Landschaft. Ich wandte mich von diesem Anblick ab und taumelte wie in einem Traum den Hang, der nicht länger versperrt war, hinab bis zu dem Strauch, den ich in den Gedanken der Wölfin gesehen hatte. Meine Hände tasteten sich durch das dornige Gestrüpp, bis sie etwas Warmes fanden, und ich hob das kleine Fellbündel auf und wickelte es sanft in meinen Mantel. Das Kleine war kaum zwei Wochen alt, geboren in einem Frühling, der keine Nahrung und keine Wärme bot. Ich überlegte, was ich getan hätte, wenn es kein Tier gewesen wäre, das mich angegriffen hatte, sondern ein Mensch, ausgehungert und halb erfroren, gierig nach meinem Mantel oder meiner

Langsam ging ich den Hang weiter hinab, ohne Freude über meinen Sieg und im Bewusstsein, dass dieser Winter noch lange dauern würde.

Pwyll na Gal-Taure
1996