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Der Weg des Windkobolds

Märchen, Mythen und vielerlei Geschichten ranken sich um das Leben, aber auch um das Vergehen der Naturgeister. Den meisten Wesen ist bekannt, dass die Windkobolde wohl die Seele eines Naturgeistes abholen, und diese "heimbringen". Doch wie dieses geschieht, oder warum es so ist, dass ein Windkobold erscheint, wenn der Totenruf eines Naturgeistes erklingt, und dessen Seele fortgeleitet, wissen viele nicht mehr. Schon viele Neugierige, Philosophen und Wissenschaftler aus verschiedenen Völkern suchten zu den verschiedensten Zeiten darauf eine Antwort. Manche sind bei dieser Suche wahnsinnig geworden, über ihrer Aufgabe verzweifelt oder, vielleicht schon kurz vor einer Antwort, gestorben, da ihre Lebensdauer überschritten war.

Als noch junger Windkobold sind solche Gedanken nicht von belangen und werden schnell vergessen. Doch Neugierde besitzt einen eigenen Willen und die schlechte Angewohnheit stetig zu wachsen. Die Zeit, die vergeht, Erlebnisse auf Reisen und das Älterwerden bieten diesem Drang nach Wissen einen guten Nährboden. Jede Seele eines sterbenden Naturgeistes, die nach mir rief, wurde von mir sicher aufbewahrt, im innersten meines Herzens und heim zum Seelenmeer gebracht, wo sie mit dem Meer verschmelzen und zu einer anderen Zeit in einer anderen Form, neugeboren werden konnte. Doch irgendwann tauchte tief in mir die ängstliche Frage auf: Was, wenn eine Seele für mich unerreichbar ist? Was geschieht, wenn ich sie nicht finden, nicht nach hause tragen kann? Wie ein hungriges Tier, das an einem Knochen nagt, so fraß sich diese Ungewissheit in meine Gedanken hinein. Ich hatte schon die wildesten Geschichten gehört: "Die Seelen werden ihren Weg schon alleine finden," oder schlimmer "Schon viele Windkobolde sind verschwunden oder vergangen, wenn sie eine Seele verloren haben." Diese beunruhigenden Hinweise waren alles, was ich herausfinden konnte. Das einzig Aufschlussreiche war, daß eigentlich niemand etwas genaues wusste, und auch die anderen Windkobolde nicht gerne darüber sprachen. Das war verständlich, denn schließlich ist es unsere Lebensaufgabe, der Grund unseres Seins, die Seelen der vergangen Naturgeister zurück zum Seelenmeer zu geleiten. Die Antwort, die Wahrheit mussten sich irgendwo finden lassen. Nur wann, und wo, war ungewiss.

Es war das erste mal, dass ich meine Wolke mit einem festen Ziel vor Augen verließ. Das Nagen des Tieres in meinem Kopf war unerträglich geworden. Ständig verhaspelte ich mich bei meinen eigenen Scherzen, weil die Neugier mir ständig die Gedanken durcheinanderwirbelte. Ich lief in die von mir selbst spitzbübisch gestellten Fallen und ließ mich immer öfter bei einem Streich erwischen, was dann unwiederbringlich im Chaos endete. Das hungrige Tier musste zur Ruhe gebracht werden, das war mir klar. Doch wo sollte ich meine Suche nach den Antworten beginnen?

Früh am nächsten Morgen, nach einem ausgiebigen Frühstück, begann ich mit meinen Nachforschungen. Auf dem Weg zu einigen Blütenfeen und Waldkobolden, durchflog ich geschickt noch eine kleine Regenwolke und reiste so bald sauber, erfrischt und voller Zuversicht, durch die Lüfte. Mein erster Halt bei einer Blütenfee, die auf einer sonnigen Wiese voll prächtig duftender Blumen wohnte, erwies sich als Fehlschlag. Es war einfach unmöglich brauchbare Auskünfte von einer Kleinfee zu bekommen. Kaum hatte ich sie etwas gefragt, schien sie es im nächsten Augenblick sogleich wieder vergessen zu haben und sprang geschickt von einer Blume zur nächsten. Auch bei den Waldkobolden hatte ich nicht mehr Glück. Immer wenn ich dachte, in diesem Augenblick könnte ich sie endlich befragen, stritten sie sich einmal mehr um einen kleinen Haufen von Paranüssen, der vor ihnen auf dem Boden lag. Seufzend verließ ich das Wäldchen und entfernte mich von dem mir bekannten Umfeld in Richtung einer baumlosen Fläche am Horizont. Kurz vor dem erreichen des Waldrandes beschloss ich eine Nachtruhe einzulegen. Die Dunkelheit breitete langsam ihren Schleier der Nacht aus, als ich eine kleine Wolke fand und mich dort einkuschelte.

Die Sonne wärmte die Baumspitzen und die Vögel begannen fröhlich zwitschernd ihre Nahrungssuche. Frisch und ausgeruht setzte ich meine Suche fort. Als ich den Waldrand erreicht hatte, legte ich eine kleine Pause ein. Direkt vor mir erstreckte sich eine riesige Fläche brachen Landes. Die Luft flimmerte am Horizont und ein Ende schien nicht in Sicht. Das war also die Weite Steppe. Sie schien erschreckend groß zu sein. Ein leicht mulmiges Gefühl beschlich mich. Meine Augen waren an Bäume, Gärten und Seen gewöhnt, die Steppe war mir unbekannt, fremd und weit. Mein Blick schweifte noch einmal unsicher in den Wald zurück, und hätte mich nicht gerade in jenem Moment wieder die Neugier gezwickt, wäre ich wohl wieder umgekehrt.

Die Zeit verrann und langsam wurde es Mittag. Die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel. Die Luft war unangenehm heiß und kein Lüftchen machte sich bemerkbar. Schwitzend vor Anstrengung, denn die Luft war hier zäh und träge und das Fliegen war schrecklich mühsam, da mein Körper es gewohnt war die Kraft und den Auftrieb des Windes zu nutzen. Erschöpft suchte ich nach einem Plätzchen im Schatten um mich auszuruhen. In einer riesigen Steppe etwas Schatten zu finden gestaltete sich allerdings schwierig. Als ich die Hoffnung fast schon aufgegeben hatte, entdeckte ich plötzlich einen alten, knorrigen Baum. Wie ein Wächter, der standhaft der Sonne trotzt, stand er mitten in der Hitze. Bei genauerem Hinsehen bemerkte ich, dass sich dort schon jemand niedergelassen hatte. Ein Steppenelf saß dort im Schneidersitz und schien die Mittagshitze abzuwarten. Seine dunklen Augen wanderten ruhig über das weite Land. Er schien ganz in seinen Gedanken und in der weiten Pracht der Steppe versunken.

Da es nicht so aussah, als wäre er schrecklich beschäftigt, ließ ich mich einfach neben ihn plumpsen und überschüttete den Elf wild fuchtelnd mit meinen Fragen. Obwohl ich sehr plötzlich aufgetaucht war, und insgeheim gehofft hatte, ihn ein bisschen zu erschrecken, war er weiterhin sehr ruhig und ließ sich nicht anmerken ob er mich bemerkt hatte.. Nachdem ich meinen Redeschwall beendet hatte, blickte er weiter minutenlang schweigsam in die Ferne, so daß ich schon dachte, er würde mich entschlossen ignorieren. Dann aber, als ich mich gerade mürrisch abwenden wollte, erzählte er unerwartet etwas von den Wundern der Steppe. Von den Spitzen der Grashalme und dem kräftigen Blau des Himmels. Bereits nach wenigen Minuten seiner Ausführung begann ich unruhig hin und her zu rutschen. Zwar versuchte ich immer wieder eine meiner Fragen einzuwerfen, hatte jedoch nicht den rechten Erfolg. So schön dieses Land aber auch war, deswegen war ich nicht hier. Nach einer, wie mir schien, endlosen Zeit erfuhr ich, daß der Steppenelf genauso viel wusste, wie ich, also praktisch gar nichts. Allerdings gab er mir neue Hoffnung, als er anfing von Knoten und von altem Wissen zu sprechen. Von andern Kobolden hatte ich gehört das Steppenelfen nicht wie viele Völker ihre Geschichten und Erlebnisse in Bücher schrieben sonder sie als Knoten und Knüpfungen auf Schnüren verewigten. Zwar schien es mir nicht einleuchtend von Knoten irgendwelche Antworten zu bekommen, aber die Hoffnung ist zäher als es dieser Steppenelf augenscheinlich war. Nicht lange darauf hatte sich mein Gegenüber so in seine Worte über Knoten und Steppe verwickelt, daß ich wortlos nickend den Rückzug antrat, und weiterflog.

Weitere Tage vergingen bis ich das Ende der Steppe erreichte und auf einen wunderschönen Wald traf. Die Bäume und deren Geäst waren gewaltig, sie wirkten alt, weise und stark. Mit ihren saftigen Blättern tauchten sie alles in ein sanft beruhigendes Grün. Wo sich das Auge hinwand wimmelte es von Waldbewohnern. Nach einer weile landete ich an einem kleinen Hain. Plätschernd und erfrischen entsprang dort eine Quelle. Gleich daneben, erst nach genauem Hinsehen zu entdecken, erstreckte sich ein kleines Waldelfendorf. Am Rande dieses Dorfes stand eine im Moment kalte und nicht benutzte Schmiede. Nach kurzem Beobachten fand ich dort eine Gruppe langbeiniger Spitzohren die geschäftig ihrer Arbeit nachgingen. Eine Elfin gerbte das Fell eines prächtigen Hirsches, während sie ein köstliches Mahl aus dessen Fleisch zubereitete. Mit dem köstlichen Duft des bratenden Fleisches in der Nase, wendete ich meine Aufmerksamkeit den restlichen Bewohnern zu. In der Nähe der Schmiede schlummerte selig ein Elf in seiner Hängematte, vermutlich der Besitzer der Schmiede. Einige Dutzende Koboldschritte entfernt verbesserte ein noch sehr junger Elf mit steigender Konzentration seine Fähigkeiten im Umgang mit Pfeil und Bogen. Vielleicht würde ich ja hier einer Antwort fündig.

Langsam näherte ich mich dem Dorf und mit jedem Schritte breitete sich der köstliche Duft des Hirschfleisches weiter aus. Verspielt pustete ich in die Flammen des Lagerfeuers, ließ sie etwas auflodern ohne das Fleisch verbrennen zu lassen. Die Elfin dreht sich zu mir um, musterte mich kurz und formte ihre Lippen zu einem schmunzelnden Lächeln. Sie nickte mir Willkommenheißend zu und setzte ihre Arbeit an dem Fell fort. Weiter stören wollte ich sie nicht, also näherte ich mich langsam dem etwas größerem Spitzohr der faul in der Hängematte lag. Er döste gemütlich und sah fast unschuldig aus. Gedanklich sah ich mich schon eine Regenwolke über seinem Kopf positionieren, schüttelte aber dann schnell den Kopf. Deswegen war ich nicht hier. Mit dem Finger stupste ich leicht gegen seinen Arm um den Elf zu wecken und ihn nach den Seelen der Naturgeister zu fragen. Zu meiner Überraschung drehte er mir einfach den Rücken zu und murmelte mir etwas von " kein Handelsmeister mehr, wende dich an meine Urlaubsvertretung" zu. Verwirrt und verblüfft stand ich da, mir schien ich war auch hier falsch. Hätte ich damals gewusst wie haarscharf ich einer richtigen Antwort entgangen war, da beide Elfen in der großen Finsternis gekämpft hatten, wäre ich hartnäckiger gewesen, so verließ ich genauso schlau wie vorher auch diesen Ort.

Langsam ermüdete mich die Reise, niemand brachte mich einer Lösung näher und nirgends schien es auch nur einen Schritt vorwärts zu gehen. Des Nachts traf ich mit einem anderen Kobold zusammen, ein Mondkobold wie mir bald klar wurde. Allerdings verließ ich den Kobold schon bald wieder. Immerzu klimperten an ihm irgendwelche Glöckchen und ständig tanzte er im Mondlicht davon, was sich als keine gute Voraussetzung für ein Gespräch erwies. Gleich in der Nähe begegnete ich einer weißen Hexe die sehr freundlich und intelligent wirkte. Als ich jedoch den ersten Schritt in ihre Richtung machte tauchten wie aus dem Nichts zwei Holde auf und scheuchten mich wütend davon. Wie verrückt schwirrten sie um die arme Hexe herum und gackerten etwas von "Prinzessin" Langsam wütend und verzweifelt von meinen bisherigen Misserfolgen, ließ ich mich diesmal nicht so einfach vertreiben und löcherte eine der Holden weiter mit Fragen. Genervt schickte sie mich in die Stadt in eine Bibliothek, dort sollte es auf fast alle Fragen eine Antwort geben.

Nach einigem Grübeln und Nachdenken fasste ich Titania als mein neues Ziel ins Auge, dort musst es doch eine Bibliothek geben. Langsam bekam ich Heimweh nach meiner Wolke, es kam mir vor, als wäre ich schon eine Ewigkeit unterwegs und an den letzen richtig großen Streich konnte ich mich kaum mehr erinnern. Mit traurig hängendem Kopf und langsamen Schritten, den mit traurigem herzen fliegen kann ein Windkobold nur schwer, folgte ich den Beschreibungen der Bewohner Titanias zu dem hohen, kunstvoll aussehendem Gebäude in dem angeblich alles in Büchern niedergeschrieben sei. Nach kurzem Zögern an der schweren zweiflügligen Tür betrat ich zum ersten mal in meinem Leben eine Bibliothek. Dann machte ich noch genau 15 Schritte in einen voll Regalgestopftenraum, dreht mich um und verließ das Gebäude fluchtartig. Ich war direkt in einen golden Drachen ungefähr in meiner eigenen Größe gelaufen, der mir sofort in einem endlosen Redeschwall erklärte wie dumm doch jungfräuliche Prinzessinnen seien. Als der Drache mein verdutztes Gesicht sah schnaubte er nur und verschwand puffend in einem Buch. Wieder draußen, atmete ich tief durch. Mein Herz raste noch vor schreck. Hier würde ich wohl doch keine Antwort finden. Im Inneren der Bibliothek steckt ein verwirrter, aus der Drachenform zurückverwandelter Bibliothekskobold aus einem Buch. Dort war doch eben ein Windkobold gestanden, was der wohl hier wollte? Suchend blickte sich der Kobold um und zuckte die Schultern und verschwand in einem andern Buch.

Erschöpft und betrübt suchte ich mir eine große aufgeplusterte Wolke und entschloss missmutig mich ein wenig auszuruhen. Fast wäre ich vor Schreck in den heiteren Himmel gepurzelt als ich plötzlich eine mir wohlvertraute Stimme hörte.
"Schon wieder auf der Suche nach Antworten neugieriger kleiner Windkobold?"
Gerade wollte ich entrüstet antworten, von wegen klein, als der älteste Windkobold den ich je gesehen hatte in mein Gesichtsfeld schlenderte. Schon damals als ich die erste Seele ins Seelenmeer führte war ich ihm begegnet und er war mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Meiner Stimme beraubt blieb mir nur ihn mit offenem Mund anzustarren. Grinsend bleckt der Windkobold die Zähne und kicherte.
"Hat es dir die Sprache verschlagen? Bisher hast Du doch auch versucht jeden, den du trafst auszuquetschen."
Er setzte sich auf einen kleinen Wolkenvorsprung und beobachtete mich eine Weile. Nach kurzem Mustern schmunzelte er noch breiter. "So einen neugierigen Windkobold wie dich gab es schon lange nicht mehr. Ich verfolge deine Reise schon eine ganze Weile. Ich hoffe du bist dir bewusst wie tiefgründig deine Frage ist und wie weit sie in der Zeit zurück geht?"

Noch immer mit Schweigen geschlagen konnte ich nur langsam nicken. Nach schier unendlicher Zeit schluckte ich schwer und zwang meine Stimmbänder einen Ton hervorzubringen.
"Ich möchte nur Gewissheit, warum gerade die Windkobolde diese Aufgabe haben und ob wir wirklich so unabdingbar sind wie es viele behaupten. Natürlich ist unsere Arbeit die Seelen zu geleiten das Wichtigste was es gibt, aber sind wir so wichtig, dass ohne uns die Naturgeister zu Grunde gehen?"
Unsicher ob ich nicht zu viel gefragt hatte wartete ich gebannt auf die Reaktion des Alten. Erst schien er gar keine Mine zu verziehen, dann lachte er herzhaft.
"Unersetzlich? Die Seelen ins Seelenmeer zu geleiten damit sie wiedergeboren werden können ist eine der wichtigsten Aufgaben die es gibt. Es ist eine Ehre, dass es an uns liegt, aber immer auch eine Last für unser Herz dem Tod so nahe zu sein. Ohne uns würde einiges ins Stocken geraten, doch auch wir sind ein Teil der Natur und nichts in der Natur ist unersetzlich. Es würden sich neue Wege und Möglichkeiten auftun. Kein Windkobold sollte sich so wichtig nehmen zu meinen er sei unersetzlich, das ist ein sehr egoistischer Gedanke."
Dann wurde er plötzlich ernst und schüttelte leicht den Kopf.
"Wir sind ein Teil des Ganzen so wie jeder Naturgeist. Nur scheint es manchmal, dass unsere Aufgabe wichtiger ist als andere. Glaub so etwas nicht, den mit dieser Einstellung wirst du einsam und unzufrieden sterben."
Nachdenklich und innerlich berührt von der Ansprache des Alten setzte ich mich langsam hin und lauschte weiter seinen Worten.

"Nur wenig ist von der damaligen Geschichte noch übrig, sie ist schon durch soviel Münder und Ohren gewandert, dass der Inhalt verschwommen und an vielen Stellen bruchstückhaft ist. Doch das Kerngeschehen ist stets das selbe und die Wahrheit."
Die Augen des Alten blitzten plötzlich voll jugendlich frische als er sich an scheinbar alte Zeiten erinnerte und er schenkte mir ein freundliches und gütiges Lächeln.
"Setz dich, dann werde ich dir alles erzählen was ich weiß. Aber sei vorsichtig, Wissen zu erlangen ist der erste sowie einfache Schritt, das Wissen zu verstehen und richtig damit umzugehen der weitaus schwierigere. In Wahnsinn zu verfallen geschieht schnell wenn das Wissen zu groß für dein noch sehr junges Bewusstsein wird."

Der Blick meines Gegenübers schweifte zum Horizont und auf einem Blick zum nächsten wirkte er älter als zuvor. Vielleicht waren es nur die Sonnenstrahlen, die über sein zerfurchtes Gesicht glitten und sein wahres Alter andeuteten.

Er war der älteste Naturgeist dem ich je begegnet war. Seltsam, warum wusste niemand von seiner Existenz? Unruhig machte ich mir ein gemütliches Plätzchen zurecht und spitze ungeduldig die Ohren, gespannt was ich nun erfahren würde.

"Ungeduldig scheinst du auch noch zu sein. Nun, dann werde ich mit meiner Erzählung anfangen. Ich beginne am besten kurz vor Ende der Finsternis. Was davor war ist längst im Strom der Zeit verloren gegangen und nicht mehr von Belang. Selbst deine jungen Ohren sollten schon etwas über die große Finsternis gehört haben."
Der Alte Windkobold legt eine kurze Atempause ein, lehnte sich zurück und schloss langsam die Augen, bevor er weiter erzählte.

In tiefe Dunkelheit war das Land getrieben worden, die Luft war drückend und die bis dahin bekannte Natur entstellt und verkrüppelt. Für viele Wesen und Völker war es das Ende ihrer Existenz. Sie verschwanden von der damaligen Welt auf unterschiedliche Weisen. Dennoch entwickelte sich hartnäckig und trotz allem stur manchmal groteskes Leben. Für viele Naturgeister in ihrer damaligen körperlichen Form war es nicht mehr vorstellbar in dieser zerstörten und leidenden Natur zu leben. Sie zogen sich zurück bis in die Geisterwelt um der Finsternis zu entkommen. Nur eine Handvoll blieb und kämpfte gegen die Finsternis an, doch es wurden stetig weniger. Sie kämpften um das zu retten und zu erhalten, was noch nicht zerstört war. Geduldig darauf wartend, dass die Natur zu neuem Leben erwacht und das Licht zurückkehrt.
Wie viel Zeit verging können heute nur noch die Ältesten sagen. Wartend, dass die Natur wieder ihren normalen Zyklus aufnehmen würde hielten sich die Naturgeister im Hintergrund. Bald drangen nur noch Bruchstücke von der Welt in Finsternis zu den Naturgeisterseelen in der Geisterwelt durch. Umso mehr die Zeiger der Zeit voranschritten desto größer wurde die Angst und die Gerüchte der Grausamkeiten der jetzigen Welt. Die Herzen verschlossen sich Stück für Stück und fast wurde vergessen wie wichtig die Natur für uns und wir für sie waren.
Was am Ende die Wende brachte oder der Auslöser war, kann niemand beantworten. Wahrscheinlich waren es vielerlei Dingen, vielleicht aber war es auch die Natur, die ihre letzte Kraft zusammenzunehmen schien, um wieder neu erblühen zu können. Die Sonne schien wieder den Weg durch die Wolken zu finden und die neuen Sprösslinge von Bäumen und Pflanzen legten sich über die tiefgerissenen Wunden der Natur. Was dann geschah ist ungewiss und die Geschichte leicht vernebelt. Doch ranken sich alle Erzählungen und Erinnerungen um Oberon, der uns alles wieder bewusst machte, wer und was wir waren. Oberons Ruf hallte durch jedes Naturgeisterherz. Jeder Naturgeist, egal an welchem Ort, ob Geisterwelt oder stoffliche Welt, hörte den Klang seiner Stimme. Er rief sie zu sich um der Natur zu dienen, in ihr zu leben und sie zu unterstützen damit das Gleichgewicht wieder hergestellt würde.

Doch die Antwort auf seinen Ruf war erschreckend. Er fühlte die Angst und Kälte in den Seelen jener, die seit langem die Geisterwelt nicht mehr verlassen hatten. Die Finsternis saß in ihren Herzen und ohne körperliche Form hatten sie vergessen wie man in einem Körper fühlt und lebt. Ihre Furcht war groß, denn die Erinnerung an ihre sterblichen Hülle und den großen Schmerz den sie erlitten hatte sie misstrauisch und scheu gemacht. Oberon war ratlos und zutiefst erschüttert, mit all seiner Kraft versuchte er die Herzen der Naturgeister mit neuem Mut und Lebenskraft zu erfüllen - doch er scheiterte. Die Angst hatte tiefe Wunden in die Herzen gerissen.

Niedergeschlagen setzte sich Oberon eines Morgens an die Ufer des Binnenmeeres und blickte über das noch trübe und fast leblose Wasser. Sinnieren saß er dort Stunde um Stunde und beobachtet mit glasigem Blick den Wind der leichte Wellen auf dem Wasser formte Mit den Gedanken, weit fort betrachtete er ein Blatt das neben ihm zu Boden gesunken war. Geistesabwesend ergriff er das vertrocknete Blatt, führte es vor sein Gesicht und betrachtete es. Plötzlich erhob sich ein kleines Lüftchen, schnappte sich das Blatt geschickt aus seinen Finger und trug es über das Wasser hinfort. Bis der Wind es wieder freigab und es langsam auf die Wasseroberfläche fiel und kleine Kreise bildete. Eine Weile noch gebannt verfolgte Oberon das Geschehen bis sich ein altes Bild in sein Bewusstsein schob.

Früher hatte er oft am Seelenmeer gesessen, dort fand er immer Ruhe. Häufig schaute er fasziniert zu wenn die Seele eines Naturgeistes wieder mit dem großen Ganzen verschmolz. Wie ein Tropfen leuchtete die Seele einen kurzen Moment über der silbrigen Oberfläche bis sie auf die Oberfläche traf und sich mit den anderen Seelen vereinigte. Nur kurz entstanden kleine Kreise die sich schnell in der Unendlichkeit verloren und in der Ewigkeit verschwanden.

Ein Luftstoß riss ihn aus seinem Traum, ein Windhauch zischte penetrant um seine Ohren und verzwirbelte sein Haar. Ihm zu Füßen wirbelte eine kleine Staubwolke auf, trieb hin und her und entzog sich dann seinem Blick. Oberon schloss die Augen und lauschte dem Wind. Augenblicklich hörte er ein sanftes Murmeln, das seine Gedanken ergriff und sich in ihm ausbreitete wie eine warme Frühlingsbrise. Langsam verstand er die Bedeutung dieses Murmelns. Auch auf dem Seelenmeer weht ein leichtes Lüftchen, warum hatte er das nur nie bemerkt. Wind existiert an jedem Ort selbst dort wo das Seelenmeer lag, der Wind fand immer seinen Weg. Der Wind wollte ihm zeigen, dass er die Seelen zurückbringen kann aber wie soll eine Windbrise eine Seele tragen? Plötzlich schien er einer Lösung so nah zu sein. Solange waren die Naturgeister schon in der Geisterwelt ohne sie zu verlassen. Wieder in diese Welt zu kommen bedeutet für sie Ihre Seelen in Gefahr zu bringen, sie fürchteten sich. Fürchteten sich den Weg zurück ins Seelenmeer nicht mehr zu finden und gefangen zu sein in der Welt, die sie nur noch mit Finsternis in Verbindung brachten. Wenn ihr Seele in dieser Welt verweilen musste, wie sollten sie wiedergeboren werden?

Ein leises Kichern ließ Oberon aufschrecken, er war so versunken gewesen, dass er sein Umfeld völlig außer acht gelassen hatte. Erstaunt erkannte er ein kleines Persönchen das ihn keck aus einiger Entfernung angrinste. Er begriff erst jetzt das er über und über mit einem Staubfilm bedeckt war. Der Wind hatte die Zeit genutzt ihn klammheimlich immer mehr mit Staub zu bedecken. Ärgerlich klopfte er sich den Staub von der Robe, wo bei ihm das Grinsen des Kerlchens nicht entging, das anscheinend neue Dimensionen erreichen wollte und beinahe über die Ohren hinausschoss. Grummelnd betrachtete er den kleinen Kobold, den es war ganz sicher ein Kobold. Er seufzte, ein Kobold war eigentlich das letzte was er jetzt brauchte, denn nach Schabernack war ihm im Moment ganz und gar nicht zumute. Die Mimik des Kobolds, der wie Oberon langsam klar wurde ein Windkobold war und der irgendwie sehr viel Ähnlichkeiten mit dem kleinen Staubwirbel hatte wurde ernst. Er flog zu Oberon herüber, setzte sich an die Stelle wo, die kleine Windhose entstanden war was Oberon in seiner Vermutung bestärkte, daß das kleine Wesen dort eben geboren worden war. Immer noch ernst blickend suchte er Oberons Augen.
"Der Wind wird ihre Seelen geleiten und beschützen, jeder Windkobold wird den Ruf eines sterbenden Naturgeists hören und sie holen, dafür sind wir geschaffen worden. Das ist unsere Aufgabe." Nach diesem kurzem Satze fegte ein starker Luftstoß, wie als Unterstreichung der Worte über das Wasser und der Windkobold verschwand.

Wie ein warmer, schützender Mantel legten sich Ruhe, Sicherheit und Geborgenheit über die Herzen der Naturgeister, diese Gewissheit, daß ihre Seelen niemals verloren sein würden, ließ die Angst vor der Finsternis und ihren Folgen verschwinden. Oberon fühlte wie sie nun alle auf seinen Ruf antworteten und ihren Platz einnahmen. Lächelnd stand er auf und schritt von dannen, denn er hatte noch viel zu erledigen.

Der alte Windkobold versummte. Er öffnete die Augen zum Zeichen, daß er mit seiner Erzählung am Ende angelangt war. Auf mich wirkte er noch älter als zuvor und sehr erschöpft. Er nickt mir aufmunternd zu und wie auf einen wink wurde mein Körper sich der Müdigkeit bewusst und mein Augenlieder wurden schwer, bis ich schließlich traumlos und erschöpft einschlief.

Vögelgezwitscher weckte mich am nächsten Morgen. Ich wunderte mich nicht im geringsten als ich bemerkte das mein Erzähler verschwunden war. Meine Antwort war gefunden und es tat wohl nun die Wahrheit zu kennen. In die Luft erhoben flog ich zurück nach Hause, mein normales Leben wieder aufzunehmen. Die Elfen und Bahuunis waren bestimmt schon faul und träge geworden weil ihnen niemand mehr die Wäsche von der Leine wehte.

So ist der Windkobold ersetzlich wie jedes Wesen in Magira, doch tragen sie stets ein Geheimnis in sich. Dem Tode und Leben so nah doch die Fröhlichkeit und Heiterkeit nicht aus dem Herzen zu verlieren.

ENDE


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