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Das Ende eines langen Winters

EWS-Bericht der Naturgeister 1992

Der Sommer hatte Einzug gehalten in den Landen der Naturgeister und alles Leben war freundlich. "Wenigstens die Jahreszeiten sind unabhängig von den Schrecken des Krieges." bemerkte Chamiel an Oisin als er mit der Feldherrin durch den Zauberwald ging. Im Zauberwald leben viele Feen und so sind hier besonders schöne Blumen und Bäume zu finden. Nirgendwo stehen sie in größerer Pracht auf der Geisterinsel als hier. Ein Lächeln erschien auf Finyens Gesicht: "Ich wünschte, ich könnte wieder einmal hier herkommen, um mich zu vergnügen und nicht um Sorgen zu bringen." Chamiel schwieg. Auch ihn hatten die Tage auf dem Schlachtfeld gezeichnet. Finyen riss ihn aus seiner Versunkenheit: "Das letzte Stück des Weges muss ich allein gehen." "Ich weiß", sagte er, "doch bei allem Leiden und Tod vergiss nicht, dass jeder Frühling neues Leben bringt und dass man sich daran auch erfreuen sollte", er zwinkerte Finyen zu und verschwand im Wald. Die schlanke Grauelfe machte sich gebeugt auf den Weg zu einer kleinen Anhöhe. Die Last, die sie trug, war nicht schwer. Im Tode schien Myrian noch leichter zu sein, als er im Leben war. Doch die Trauer um den tapferen, kleinen Baumgeist ließ nicht zu, dass sie aufrecht ging. Bevor sie an der uralten Eiche auf der Anhöhe ankam, straffte die Feldherrin sich. Krieg führen war schlimm, doch was jetzt folgte, hasste sie mehr als alles andere. Myrian zu Ehren wollte sie es wenigstens mit Stolz ertragen.

"Ich habe Euch bereits gehört, Finyen del Lian." sagte eine sanfte Stimme als sich im Baum eine Tür öffnete. Dort stand eine ungefähr zwei Fuß große Baumfee, schön von Angesicht, in grüner Kleidung. "Kommt Ihr mich besuchen?" "Ich wünschte, ich käme einfach so zu Euch, Elyra Eichenblatt. Doch ich komme nur, um Euch Euren Sohn zu bringen. Es tut mir sehr leid." Vorsichtig legte die Feldherrin den Leichnam des Feenmannes auf das Moos. Ein weißes Leinentuch verdeckte gnädig die Schwertwunde, die ihn niedergestreckt hatte. Das fröhliche Antlitz der Baumfee gefror fast augenblicklich: "Mein Sohn?" stammelte sie. "Myrian?" Finyen schlug das Tuch zurück. Es zeigte sich das schöne Gesicht des jungen Baumgeistes, das aussah, als würde er friedlich schlafen. "Jetzt auch noch mein Sohn?", schrie sie erbost, "reicht es Euch blutgierigen Kriegern noch nicht? Wieviel Blut wollt Ihr noch vergießen?" "Ich bin keine Kriegerin." sagte Finyen leise. "Davon sehe ich aber nichts! Nicht einmal Eure Rüstung habt Ihr ausgezogen. Wo ist die Wächterin der Wälder Finyen, ich erblicke nur die Mörderin." Beschämt sah Finyen an sich herunter. Sie trug noch immer das Gewand der Feldherrin, Kleidung und Stiefel aus mitternachtsblauem Leder und ein Kettenhemd aus Zwergensilber, ihr Schwert hing ebenso am Gürtel wie ihr Helm und ihre Kettenhandschuhe. "Die Kleidung einer Waldläuferin passt Euch wohl nicht mehr." Anklagend schaute Elyra Finyen an. "Ich kann den Tod nicht leugnen." sagte Finyen, "weder den, den ich hinnehmen musste, noch den, den ich gebracht habe. Ich nehme auch die Schuld auf mich, getötet zu haben." "Das macht aber Myrian nicht wieder lebendig." "Vielleicht tröstet es Euch, dass er nicht umsonst gestorben ist. Er und viele andere gaben ihr Leben, um unser Volk vom Joch der Sterblichen zu befreien." "Kriegergeschwätz - verlasst meinen Baum, Unglücksbringerin." Finyen drehte sich wortlos um und ging. Was sollte sie sonst auch tun. Dabei war der Krieg so erfolgreich gewesen, dachte sie bitter und zynisch. So drückten es ihre sterblichen Verbündeten aus. Die Besatzermacht von Rotarbiv war bis auf den letzten Mann vernichtet. Die Stadt gehörte, wenn auch nur für kurze Zeit, den Naturgeistern. Sie blieb lange genug in unserem Besitz, um ihr einen neuen Namen zu geben, der die Spuren der Legion beseitigte, dachte Finyen traurig, Caran - Weiße Stadt, so sollte sie fortan heißen. Denn die Feen hatten all den Schmutz der Sterblichen beseitigt.

Auch auf der Puderdoseninsel und vor Nesuahnetne wurde noch verbittert gekämpft. Wieder einmal kam der Hass in Finyen hoch. Der angebliche Verbündete, der, als es darauf ankam, plötzlich Nichtangriffsverträge aus der Tasche zog, und die Naturgeister ihrem Schicksal überließ. Sie wurden vom Antlitz der Welt getilgt, dachte Finyen und betrauerte wieder einmal all die Naturgeister, die dafür sterben mussten. So viele, die ihr Leben in den unseligen Kriegen verlieren mussten. Die genauso mutigen Verbündeten wie die Legion, Errains Schlangen, machten Finyen weniger Kummer. Sie nahmen ihr Angebot zum freien Abzug an und verließen Nesuahnetne hoffentlich für immer. Und auch ihre Spuren wurden durch einen neuen Namen getilgt. Catanhar - Blühende Stadt, so hatte sie Finyen stellvertretend für alle Lichtelfen genannt. Denn sobald die ersten Naturgeister wieder die Stadt betraten, so wurde als erstes damit begonnen die wunderbaren Gärten wieder hergerichtet, die einstmals viele Naturgeister zu einem Besuch bewogen hatten. Zu diesem Zeitpunkt glaubte Finyen noch, dass die Schlachterei endlich ein Ende habe. Die Städte wurden neu befestigt und die meisten Naturgeister konnten nach Hause zurückkehren. Doch das Schicksal sollte noch eine weitere Überraschung bereithalten. Ery van Frysia, seines Zeichens Feldherr der Kryer bat um eine Unterredung. Finyen hatte diesen großen, kräftigen Sterblichen schon immer gemocht. Fröhlich betrat der Tweydh Finyens Zelt: "Na, Mädchen, du siehst schon viel besser aus. Was 'n bisschen Schlaf und ein paar Schlucke guten Mets alles ausrichten können." Finyen glaubte zunächst, der Tweydh sei nur gekommen um mal wieder ihre Met- und Tabakvorräte zu plündern oder um ein bisschen zu plaudern. Doch der Grund seines Hier seins überraschte sie völlig: Ery und seine Leute hatten das Tiefland satt. Scheinbar war es ihnen hier zu warm, oder die Kobolde hatten sie zuviel geärgert, auf jeden Fall gaben sie Weddewarden wieder zurück. Weddewarden, Finyen musste grinsen, nur Sterbliche kamen auf solche seltsamen Namen. Riyatan gefiel ihr da schon wesentlich besser. Hoffentlich kam bald der Sommer, um die Stadt wieder neu zu befestigen.

Als Finyen so nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass sie eigentlich mit sich zufrieden sein konnte. Doch die Sterblichen sind unstet und hitzköpfig und niemals schienen sie sich über den Frieden zu freuen. So auch diesmal nicht, dachte Finyen. Raum herrschte Frieden an den Küsten der Naturgeister, so kamen neue Kriegsnachrichten. Pyron, Pyöreli des Wasservolkes, hatte das Volk der Cehisar angegriffen und kaum war diese Kunde zu allen Völkern gekommen, schon entbrannte die Kriegslust erneut. Plötzlich stellte sich fast jedes Volk der Westlichen Welt auf die eine oder andere Seite. Schweren Herzens entschloss auch Finyen sich wieder einmal dem "Tanz" anzuschließen. Obwohl der Große Vertrag längst gebrochen war, würde sie doch keinen Verbündeten im Stich lassen. Und so hatte sie Truppen auf den Weg geschickt.

"He, Spitzohr, träumst Du?" eine fröhliche kleine Stimme riss Finyen aus ihrer Versunkenheit, "Jetzt laufe ich schon eine ganze halbe Stunde neben Dir und Du merkst nix. Liebeskummer? Wie heißt er denn?" fragte der kleine Pixie frech. Finyen nahm den kleinen Feenmann und setzte ihn auf ihre Schulter. "Eigentlich geht es mir ganz gut." lächelte sie. "Das sollte es auch, schließlich hat der Sommer begonnen." sagte der Pixie bestimmt. "Ach, und hör mal, Du bist doch immer noch Feldherrin, stimmts?" "Ja, bin ich." "Dann weißt Du doch bestimmt, ob der Greif immer noch im Tiefland sein Unwesen treibt." Finyens Lächeln gefror: "Jetzt wieder. Wir hatten ihn nicht lange genug vertrieben. Er kam und rächte sich fürchterlich, Eine Ganze Einheit Bogenschützen, tausend Naturgeister, verloren ihr Leben." Der kleine Waldläufer begann zu weinen. Bringe ich denn heute nur Tod und Trauer über die Naturgeister, dachte Finyen verbittert. Komme ich nur, um Fröhlichkeit zu zerstören? Müde setzte sich Finyen auf den Boden und lehnte sich an eine Buche. Vielleicht würde ihr der Schlaf Trost bringen. Nach einer Weile nickte sie gnädig ein. Doch lange sollte die Ruhe nicht währen. Trommeln, Lärm und Gesang weckten sie. Sie war sofort hellwach, ging die Schlacht weiter? Schnell tastete sie nach ihrem. Schwert. Das lachende Gesicht eines Kobolds, eine Handbreit von ihrem eigenen ,erinnerte sie daran, wo sie war. "Aufwachen, Finyen del Lian! Du bist eingeladen! Komm mit uns!" "Wohin?" fragte Finyen etwas verdutzt und betrachtete die Horde Kobolde und andere Naturgeister, die da so lärmend durch den Wald zog. "Zur Familie Jahan natürlich. Sie haben heute eine Dutzendfeier. Sag nur, Du weißt nichts davon." Natürlich wusste Finyen, was eine Dutzendfeier ist, es bedeutete, dass eine Koboldfamilie das zwölfte Kind bekommen hatte. Das war immer etwas besonderes und stets Anlass, zu einem großen Fest, zu dem jeder Naturgeist eingeladen wurde, den man unterwegs traf. "Es ist ein Sohn", lächelte der Hauskobold, der Finyen zuerst angesprochen hatte, "und schon wieder ist ein neues Leben da, um das vergangene zu ersetzen ..." sagte er und sah sehr weise aus. Mit einem Augenzwinkern nahm er Finyen bei der Hand und zog sie mit sich und den anderen, um noch vielen Naturgeistern von der Geburt des kleinen Kobolds zu erzählen.

© 1992 Finyen