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Im Aedificium
oder
Lirielle auf dem Fest

Ein warmer Sonnenstrahl fand durch die offen stehende Türe seinen Weg auf Lirielles Nase. Überrascht und erfreut schlug sie die Augen auf. Sonne! Endlich!! Seit jenem Abend, da sie nach langer Reise im Aedificium angekommen waren, verfolgte schlechtes Wetter Bewohner und Besucher.
Sie setzte sich auf und streckte vorsichtig ihre Flügel. Bäh, was waren die steif! Die Kälte und Feuchte der letzten Nacht steckte noch in ihnen.

Leises Klappern drang an ihr Ohr. Scheinbar war Crysalgira schon wach und dabei, ihren Morgentrank zuzubereiten, jenes schwarze Gebräu, das sie Café nannte. Lirielle brauchte zwar eigentlich keine Nahrung und sicher auch keinen Trank, der angeblich sogar Tote aufwecken konnte, aber in den Monden, in denen sie bei Crysalgira lebte, hatte sie sich an den Geschmack gewöhnt. Und hier, mit der schwierigen Aufgabe, die Menschen, welche aus allen Teilen Magiras angereist waren, vor dem schlechten Einfluss des Aedificiums zu bewahren, konnte sie jede noch so kleine Hilfe brauchen. Also schlug sie probehalber ein paar Mal mit ihrem Flügelpaar und hob ab.

Im nächsten Raum ließ sie sich einfach auf Crysalgiras Klapptischchen nieder, auf dem schon frische Milch und Zucker, eine große und eine viel kleinere Tasse auf den Café warteten. Crysalgira stand mit dem Rücken zum Tischchen und wartete darauf, dass das Wasser in der Kanne auf der Herdstelle zu kochen begann.
"Guten Morgen, meine Liebe!" rief Lirielle. "Draußen zeigt sich gerade die Sonne, ich dachte schon, die scheint hier gar nicht." Nur Schweigen antwortete ihr.
"Bist du noch nicht ganz wach, Liebes? - Hey, sag doch was!" "Miaow."
"Mi - WAS???? Crys??? Ohje! DU doch nicht, das kann doch nicht sein!" Mit einem weiten Satz sprang Lirielle auf Crysalgiras Schulter. Die Freundin zuckte unter der plötzlichen Belastung zusammen, hielt ihren Blick aber abgewandt. Plötzlich schoß ihre rechte Hand hoch, die Finger gekrümmt, als hätte sie Krallen, bereit zum Zuschlagen... .
Erschreckt flatterte Lirielle hoch, außer Reichweite von Crysalgiras Arm, und sah auf die Freundin hinunter. Sie war am Rande der Verzweiflung. Hatte sie irgendetwas falsch gemacht? Hatte die schützende Magie der Naturgeister gerade bei ihrem "eigenen" Menschen versagt?

Crysalgiras Schultern bebten ganz leicht. Sie schlug die Hände vors Gesicht. Langsam keimte in Lirielle ein böser Verdacht auf. Sie flog einen sanften Bogen und zog Crysalgiras Hände nach unten. Da war es um die Beherrschung der Frau geschehen. Lachend ließ sie sich auf den Klappstuhl fallen.

Ganz kurz überlegte Lirielle, ob sie jetzt eigentlich beleidigt sein sollte, entschied sich dann aber dagegen und sank stattdessen wieder auf den Tisch herab. Mit todernster Miene sagte sie: "Bekomme ich jetzt mein Frühstück? Wir haben heute noch eine Menge zu tun... ."

Immer noch kichernd stand Crysalgira auf, um die Kanne zu holen.

Copyright © August 2005 by Crysalgira